Freitag, 7. September 2012

Bericht zum 7.Prozesstag gegen Gülaferit Ünsal (31.8.)

Beginn 9.00 Uhr. Durch den Dolmetscher erstellte Übersetzungen werden dem Gericht übergeben und verlesen. In diesen ist die Rede von einem verdächtigen Paket welches am 16.7.12 in Istanbul gefunden wurde und das Kabel, Sprengstoffkapseln sowie ein Handy enthielt, über welches es zu aktivieren sein sollte sowie verschiedenen Angriffen der DHKP-C auf Büros der türkischen Regierungspartei AKP, der MHP nahen Idealisten-Vereine, auf ein Autohaus und eine Bank in den Jahren 2003 bis 2006. Der für diesen Tag geladene Zeuge Kriminalhauptkommissar Thorsten Burkhardt, 43 Jahre alt erscheint nach halbstündiger Verspätung da er sich im Gerichtsgebäude verirrte, mit einem dicken Ordner in der Hand welchen er später, während der Zeugenvernehmung zur Unterstützung seiner Aussage benutzt. Er ist seit dem Jahr 2006 als Sachbearbeiter beim Bundeskriminalamt zuständig für das Ermittlungsverfahren gegen Gülaferit Ünsal und soll Aussagen zur Identität der Europaverantwortlichen der DHKP-C machen können. Er bezieht sich in seinen Aussagen auf die Auswertung der bei einer Razzia in Amsterdam gefundenen Daten und sagt aus, dass es eine personelle Gleichheit zwischen Gülaferit Ünsal, einer Ayse welche in diesen Dokumenten auftaucht sowie einer Gülsen gäbe. Diese Erkenntnis erlangte er durch ein selbst gefertigtes Raster, mit dessen Hilfe er Asyl, Ausländer und Sozialakten durchforstete. Es bezieht sich auf die Daten des Geschlechtes, des Landkreises, in welchem die Gesuchte wohnhaft war, der Tatsache das sie Asyl beantragte, ihrem türkischen Migrationshintergrund, sowie ihrem Alter und der Tatsache das sie einen Facharzt in Recklinghausen aufsuchte. Anhand dessen will er die Personendaten der im Landkreis Oldenburg asylsuchenden Frau festgestellt haben die wiederum seiner Meinung nach mit Gülaferit Ünsal identisch sein soll. Anschließend trägt er nach Fragen des Richters aus Erkenntnissen des BKA zu den bei einer Razzia in Amsterdam gefundenen Akten vor. Die Verteidigung bemängelt wiederholt die gerichtlich Vorverurteilung Gülaferit Ünsals durch ihre namentliche Gleichsetzung mit den in den Akten genannten Frauen. Gülaferit Ünsal und die Verteidigung beklagen mehrfach eine fehlerhafte Übersetzung durch den gerichtlich bestellten Übersetzer. Danach werden angebliche Konflikte und Wege der Informations- und Weisungsweitergabe innerhalb der DHKP-C umfangreich thematisiert. Die zu diesem Zeitpunkt berichtende Ayse regte Reformen an und beklagte den Stand der Disziplin und Moral innerhalb der Partei. Zu den Aufgaben von Ayse und Gülsen gehörte es angeblich unter anderem Spendensammlungen zu überwachen, und Schulungen durchzuführen. Auf eine Frage des Richters hin sagt der Zeuge aus das sich der Handlungsspielraum dieser beiden wohl in einem recht begrenzten Rahmen bewegt hätte sie jedoch Situationen beurteilten und Vorschläge unterbreiteten. Des weiteren berichtet der Zeuge Burkhardt, dass die fraglichen Frauen über Sekräterinnen verfügten und Gebietsberichte weiterer Verantwortlicher entgegen nahmen und weiterleiteten. Eine Person soll durch sie für das Gebiet Großbritannien gewonnen und dorthin gesandt worden sein. Nun berichtet er über angebliche Bestrafungsaktionen, in deren Rahmen ein organisationsnaher Zeitungsverkäufer welcher 1000 Euro unterschlug verhört und geschlagen und jemand der eine Frau vergewaltigte mit dem Tode bedroht wurde. Die diese Taten angeblich Ausführenden sind dem BKA unbekannt. Der Zeuge Burkhardt berichtet, dass das BKA davon ausgehe das die beiden in den gefundenen Akten auftauchenden, Ayse und Gülsen miteinander identisch seien aber es zwischen dem 15.7.03 und dem 19.7.03 zu einem Wechsel des Decknamens in den später aufgetauchten Berichten kam. Weiter ist die Rede von angeblichem Druck auf Spendensammler, internen Konflikten und angeblichen Waffentransporten. Der Richter stellt dem Zeugen Suggestivfragen dazu, doch dieser kann nur antworten das es keine Erkenntnisse aber jede Menge Vermutungen gäbe. Anschließend berichtet er das die Europaverantwortliche organisationsinterne Schulungen durchführte. Auf die Frage welche Quellen verwendet wurden um diese Erkenntnisse zu erlangen nennt der Zeuge Telefonüberwachung, Internetüberwachung, die Aussage eines Spitzels, die bei Razzien gefundenen Archive sowie eine Zeugenaussage. Nun fragt der Richter ob der Zeuge wisse was Gülaferit Ünsal gegenüber der Organisation zur Europaverantwortlichen qualifizierte. Dazu hat der Zeuge keine Erkenntnisse. Anschließend geht es wieder um die Ausdehnung und den Umfang der Spendenkampagne und der Zeuge berichtet von einer Rede „Ayses“ anlässlich des Baues der „F-Typ Gefängnisse“ Näheres dazu: Dass in Deutschland entwickelte F-Typ-Gefängnis zielt auf die totale Isolation der Gefangenen, es sind 1-und 3- Personen-Zellen vorhanden (jegliche Kommunikation zwischen den Gefangenen wird unterbunden), sie sind einer permanenten Überwachung ausgeliefert. Die Methoden der Weißen Folter (angewandt z.B. in den F-Typ-Gefängnissen) sind unter anderem: Schlafentzug: Jede Stunde wird das Licht in der Zelle eingeschaltet oder das Licht bleibt an, Lärm als Dauerberieselung mit Scheinbauarbeiten, Kontrollierte Bewegungen: Vorschriften beim Hofgang, wo und wie gelaufen wird, Sprachverbot: Zurufe an andere Gefangene werden bestraft, Kameraüberwachung und Monitore: Jede Lebensäußerung wird registriert, Zielfahndung und erforschen von Verhalten, Spitzel als Gefangene einsetzen, damit Gefangene untereinander Misstrauen hegen. Ständiger Zellenwechsel und Verlegungen, um sich nicht heimisch zu fühlen, Zellendurchsuchungen am frühen Morgen durch Staats- oder Verfassungsschutz, tagsüber durch Justizvollzugspersonal, Berührungsverbote: Bei Besuchen ist die Begrüßung per Handschlag und umarmen verboten, auch bei Kindern, Erschrecken durch plötzliches Zellenöffnen. Die deutsche Regierung exportierte seit dem Jahr 2000 das Konzept dieser F-Typ-Gefängnisse in die Türkei, wo diese im Rahmen einer EU Norm gebaut und hauptsächlich gegen Kommunisten und Kurden eingesetzt wurden um diese ruhig zu stellen und von ihrer Ideologie und dem Kampf um Freiheit zu entfremden. Am 19. Dezember 2000 begann die Türkei mit der „Verlegung“ von politischen Gefangenen in die F-Typen. Diese „Operation“ stellt einen Meilenstein in der menschenverachtenden Politik des türkischen Staates dar. Die Polizei stürmte die Gefängnisse mit schwerem Gerät, um die „Verlegung“ gegen den Willen der Gefangenen durchzusetzen. Dabei wurden Menschen bei lebendigem Leib verbrannt und es wurde mit scharfer Munition geschossen. Es gab 28 Tote und zahlreiche Verletzte. Der Zeuge stellt Spekulationen über die Nähe der türkischen, linken Band Grup Yorum zur DHKP-C sowie möglichen Spendeneinnahmen in diesem Zusammenhang an und berichtet unter anderem vom diesjährigen Konzert der Band in der ausverkauften Mitsubishi Halle in Düsseldorf. Er berichtet das Grup Yorum ein europaweiter Publikumsmagnet sei. Nun geht es um einen angeblichen Waffentransport, welcher 2003 über die Schweiz stattgefunden haben soll und vom dem das BKA berichtet, da sich der angebliche Fahrer den Behörden stellte. Weiter wird spekuliert, dass die Europaverantwortliche angeblich 4 verschiedene Personaldokumente fälschte. Der Zeuge berichtet das er an der Auslieferung Gülaferit Ünsals in Griechenland im Auftrag der deutschen Behörden beteiligt war und stellt Vermutungen über den Zusammenhang zwischen dem Ort ihrer Verhaftung in Thessaloniki und einer Explosion in zeitlicher Nähe dazu an. Die griechischen Behörden jedoch gehen nicht von einem Zusammenhang zwischen beidem aus. Nach der Mittagspause beantragt die Verteidigung die Zeugenvernehmung wegen massiver Fehler in der Übersetzung des Dolmetschers gegenüber Gülaferit Ünsal zu unterbrechen und einen korrekt übersetzenden Dolmetscher zu besorgen. Sie führt zahlreiche Beispiele dafür an welche sich in der Pause anlässlich eines Austausches zwischen Gülaferit und ihren AnwältInnen zeigten. Der Richter unterbricht die Verhandlung, um dem Übersetzer die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Der Prozess wird danach weitergeführt. Nun wird über mögliche finanzielle Einkünfte durch den Verkauf von Publikationen spekuliert. Ursächlich dafür ist ein angeblich bei einer Razzia gefundener USB Stick mit kaufmännischen Daten in Form von Excel-Tabellen sowie Unterlagen, welche bei der Durchsuchung einer Stuttgarter Druckerei auftauchten. Die Verteidigung beginnt den Zeugen zu befragen und möchte wissen, warum sie nur eine Auswahl von einigen nummerierten Dateien aus offensichtlich einer größeren Masse Dateien welche dem BKA vorliegen erhält. Darauf antwortet der Zeuge, das er alle Dateien übergab in welchen die Namen Ayse und Gülsen auftauchen. Die Verteidigung zweifelt die personelle Identität Ayses mit Gülsen an. Beispielsweise ist anhand des Aufbaues vieler vorliegender Bericht unklar ob Ayse bzw. Gülsen als Verfasser fungieren oder lediglich genannt werden. Die Verteidigung fragt auch ob die Texte mal anhand des Satzbaues, des Sprachstiles bzw. der Wortwahl auf eine mögliche Identität der Verfasser gutachterlich untersucht wurden. Daraufhin meint der Richter, dass der Bundesgerichtshof von derartigen Untersuchungen beispielsweise beim „§ 129 a Verfahren“ 2008/2009 nicht viel hielt und die Bundesanwaltschaft damals so er wörtlich: „dafür Prügel bezog“. Die Verteidigung meint daraufhin das dies wohl doch eher an der Qualität der damaligen Gutachten gelägen habe. Nun weist die Verteidigung auf verschiedene Textstellen in den vorliegenden Berichten hin welche ganz klar erkennen lassen, dass es sich bei Ayse und Gülsen um zwei unterschiedliche Personen handeln muss. Die angebliche Nähe der Band Grup Yorum zur DHKP-C wird anschließend durch den Zeugen damit begründet das sich häufig bei Durchsuchungen Werbematerialien, Plakate, Kassetten bzw. CDs der Band fänden. Der Rechtsanwalt fragt ob es eine Übereinstimmung bezüglich Zielen und Methoden zwischen beiden gäbe daraufhin meint der Zeuge nein, aber sie stünden sich nahe. Ende 14.35 Uhr Der nächste Prozesstag ist Donnerstag der 6.9.12. Beginn wieder 9.00 Uhr.

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