Montag, 10. September 2012

Kinder als Truppenbetreuer

IMI-Standpunkt 2012/051 von: Michael Schulze von Glaßer | Veröffentlicht am: 8. September 2012 Ein unscheinbarer Bericht auf der Website der deutschen Luftwaffe sorgt seit einigen Wochen für Wirbel: der Text informiert über eine neu vereinbarte Kooperation der Gesamtgrundschule im nordrhein-westfälischen Gummersbach-Bernberg und dem Luftwaffenunterstützungsgruppe Köln- Wahn.[1] Angefangen hat alles im Jahr 2010, als eine Grundschulklasse in Gummersbach das Thema „Menschen in Krisengebieten“ bearbeitete – im Fokus standen dabei von Anfang an die deutschen Soldaten im Ausland. Vor Weihnachten desselben Jahres schickte die damalige 4. Klasse Bilder von „Schutzengeln“ an die Soldaten im Camp Marmal nach Mazar-e Sharif in Afghanistan. Aufgrund der sehr positiven Resonanz in der Bundeswehr und den Bemühungen einiger CDU-Politiker wurde ein dauerhafter Kontakt mit der für die Aktion verantwortlichen Grundschullehrerin Mechthild Sülzer hergestellt. Frau Sülzer integrierte fortan aktuelle Informationen zum deutschen Einsatz in Afghanistan in den täglichen Schulalltag ihrer Erstklässler: „Jeden Morgen wird seither bei Unterrichtsbeginn die aktuelle Uhrzeit im Einsatzland und das dortige Wetter verkündet. Außerdem schließen die Kinder die im Einsatz befindlichen deutschen Soldaten täglich ins morgendliche Gebet ein“, hieß es noch bis vor kurzem in dem Bericht auf der Website der Luftwaffe.[2] Die Luftwaffenunterstützungsgruppe Köln-Wahn will das Projekt im benachbarten Gummersbach bis 2014 aktiv fördern. Mittlerweile hat die Aktion bundesweit zu Medienberichten geführt: Schulamtsdirektion, Schulleitung und Lehrerin wollen sich nicht zu dem Fall äußern.[3] Einzig die für Gummersbach zuständige Bezirksregierung Köln äußert sich zu dem Fall.[4] Sich in die Lage von Menschen in Krisengebieten zu versetzen, schaffe einen gute Zugang zu solchen Themen: „Dabei auch Bundeswehrangehörige in Krisengebieten mit einzubeziehen, die selber Väter oder Mütter von Grundschulkindern sein könnten, um auch deren Ängste und Nöte nachzuvollziehen, lehrt die Kinder auch einen realistischen Blick in Bezug auf die Arbeit derjenigen, die nach ihrem Auftrag vor Ort helfen sollen“, so ein Sprecher der Bezirksregierung. Als zuständige Schulaufsichtsbehörde sehe man die Aktion durch Paragraf 2 des NRW-Schulgesetzes gedeckt. Darin wird unter anderem von einer Erziehung „in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und zur Friedensgesinnung“ gesprochen. Die Eltern der Kinder scheinen mit der „Schutzengel“-Aktion kein Problem zu haben. Es gehe „einzig und allein darum […], an Menschen in Not zu denken, und zu überlegen, wie man diesen Menschen helfen kann“, schreiben sie in einer Stellungnahme.[5] Protest kommt von Friedensaktivisten, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)[6] und der Linkspartei, die auch den Bundestag mit dem Vorfall befassen will. Das Problem am „Schutzengel“-Projekt ist nicht, dass sich die Kinder mit „Menschen in Krisengebieten“ auseinandersetzen. Das Problem ist, dass nach Definition von Schulen, Grundschullehrerin und scheinbar der Eltern auch – und fast ausschließlich – die deutschen Soldaten am Hindukusch zu diesen leidenden Menschen in einem Krisengebiet gehören. Natürlich geht es vielen Soldaten fern der Heimat nicht gut: ihnen drohen Traumatisierung, Verwundung und Tot. Aber: die deutschen Soldaten sind freiwillig am Hindukusch und gehören als Konfliktpartei im Gegensatz zu afghanischen Kindern und Zivilisten auch zu den Tätern der bewaffneten Auseinandersetzung. Das Kunduz-Massaker vom 4. September 2009, bei dem ungefähr 150 Menschen bei dem von einem deutschen Oberst befohlenen Luftangriff starben und verletzt wurden, ist nicht der einzige Fall bei dem deutschen Soldaten für den Tod von Zivilisten und Kindern in Afghanistan verantwortlich sind. An der Grundschule in Gummersbach-Bernberg werden die deutschen Soldaten hingegen einzig als Opfer des Krieges, den sie selbst führen, stilisiert. Den Kindern wird vermittelt, dass die Bundeswehr-Soldaten nichts dafür könnten, in einer für sie so gefährlichen Umgebung zu sein. Dem Bundeswehr-Magazin Y sagte Grundschullehrerin Mechtild Sülzer in einem begeisterten Artikel, dass es in ihrer ersten Klasse weniger um die Grauen des Konflikts geht, sondern „eher um den humanitären Auftrag, mit dem die deutschen Soldaten dort sind: Schulen wieder aufzubauen, die Rolle der Frau stärken, Kinder zu schützen“.[7] In dem Artikel wünscht ein Kind einem Bundeswehr-Generalmajor in Afghanistan, dass er gut mit den Afghanen verhandele, „damit in Afghanistan nicht mehr so viele Kinder von ‚den Bösen‘ angegriffen werden.“ Einige Kinder, so heißt es in dem Artikel, wollen nun sogar selbst Soldat werden. Das „Schutzengel“-Projekt folgt einseitig dem von der Bundesregierung konstruierten Bild des deutschen Afghanistan-Einsatzes. Dieses Bild ist falsch: deutsche Soldaten sind keine Entwicklungshelfer sondern Kriegspartei.[8] Die Bundeswehr greift nicht in einen ungewollten, fremden Krieg ein, um den Konflikt zu befrieden, sondern ist selbst Aggressor und Besatzer. Die Kinder der Gemeinschaftsgrundschule Gummersbach-Bernberg sollen für die Soldaten begeistert werden und ein positives Bild des Auslandseinsatzes vermittelt bekommen. Auf der anderen Seite werden die Grundschulkinder für die Truppenbetreuung der Bundeswehr in Afghanistan eingespannt. Sie sollen die Moral der Soldaten stärken, um den Einsatz erträglicher zu machen und so auch die Kampfkraft zu erhöhen: „Dass jemand an uns denkt, gibt uns die Hoffnung, die wir brauchen, um Kraft zu tanken“, soll ein Hauptfeldwebel den Kindern laut dem Y-Artikel in einem Brief auf die Aktion geantwortet haben. Der deutsche Militärseelsorger im Camp Marmal zeigte sich ebenfalls erfreut und bei der Grundschule gingen auch viele Briefe von in Afghanistan stationieren Soldaten ein. Für die Bundeswehr ist das Projekt ein voller Erfolg. Auf die Kritik an der Aktion hat die Bundeswehr mittlerweile reagiert: der Bericht auf der Luftwaffen-Website wurde etwas entschärft, statt ins „morgendliche Gebet“ würden die Kinder die deutschen Soldaten nur in ihre „morgendlichen Gedanken“ einschließen. An der Kooperation mit der Grundschule soll aber weiter festgehalten werden. Wenn es sonst keinen Rückhalt für den Afghanistan-Einsatz in der deutschen Bevölkerung gibt, sollen wenigstens Kinder, denen man noch leicht ein verklärtes Bild vom helfenden Soldaten vermitteln kann, diesen Rückhalt simulieren. Ein Armutszeugnis. Anmerkungen [1] Esser, Christian: Engel für Afghanistan, in: www.luftwaffe.de, 13. Juli 2012. [2] Ebenda. [3] Stache, Christian: „Schutzengel“ für deutsche Einsatztruppe, in: www.jungewelt.de, 20. August 2012 [4] Schulze von Glaßer, Michael: Kinder sollen Heimatfront halten, in: www.telepolis.de, 1. September 2012. [5] Arnold, Andreas: Schutzengel für Afghanistan“, in: www.ksta.de, 3. September 2012. [6] Kramer, Bernd: Schutzengel für die Front gebastelt, in: www.taz.de, 27. August 2012. [7] Sternweiss, Petra: Arbeit für die Engel, in: Y – Magazin der Bundeswehr, September 2012. [8] Haid, Michael/Schürkes, Jonna/Wagner, Jürgen: Experimentierfeld Afghanistan – Zehn Jahre Krieg und kein Ende in Sicht, in: www.imi-online.de, 14. November 2011.

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