Mittwoch, 12. September 2012

Missbrauch der Gefühle

Von Norbert Gernhardt Auf Kommunisten-online am 11. September 2012 – Ob es nun um Mindestlöhne geht, um horrende Managergehälter oder um die Chancengleichheit in Bildung und Beruf – hin und wieder stehen auch in bürgerlichen Medien der BRD die schreienden sozialen Ungerechtigkeiten dieses Landes zur Debatte. Doch der Nebel um Begriffe wie Freiheit und soziale Gerechtigkeit scheint sich eher zu verdichten, denn zu klären. Denn um Wahrnehmungen und Erkenntnisse der Menschen in Zweifel zu ziehen, hantieren bürgerliche Autoren hier gern mit Begriffen wie „gefühlte“ Ungerechtigkeit, „gefühlte“ Armut oder „gefühlte“ Kriminalität usw. – Gefühle sind ja bekanntlich sehr subjektiv, man kann ihnen nicht so recht vertrauen. Und wo Erklärungen fehlen, müssen eben verschwommene Begriffe her, deren Auslegung zumeist „Glaubenssache“ ist. Gelegentlich beruft man sich dabei auf nicht minder demagogische Leute, wie den bürgerlichen Ökonomen Friedrich Hayek, um der ganzen falschen „Argumentation“ wenigstens den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu geben. Und sollte alles das nicht ausreichen, wird kurzerhand noch eine Meinungsumfrage hervorgezaubert, um dieses wacklige Gedankengebäude schließlich zu bestätigen. Des Volkes Stimme zählt... Wir hatten an anderer Stelle schon einmal Bezug genommen auf den Begründer der Massenpsychologie Gustave Le Bon und sein demagogisches Machwerk „Psychologie der Massen“ von 1895. Über dessen Niveau ist man heute offensichtlich noch nicht hinausgekommen. Immerhin übten solche geistigen Sumpfblüten jener Zeit einen großen Einfluß auf die Freudsche Psychologie aus. Sie dienten auch Hitler und Goebbels als Vorbild; und denen krochen im Verlaufe ihrer kriminellen Machtperiode nicht wenige obrigkeitshörige Deutsche auf den Leim. Sie hatten an die Ehrlichkeit der Nazis geglaubt... Wir fragen nun: Welche Rolle spielen die Gefühle bei der Einschätzung politischer Vorgänge oder eines beliebigen historischen Zeitabschnitts? Und wie nutzt die Bourgeoisie psychologische Kenntnisse aus, um die Menschen zu manipulieren? Was sind Gefühle? Im Unterschied zu Empfindungen und Wahrnehmungen, die Teil des Erkenntnisprozesses sind, ist das Gefühl ist ein psychisches Erlebnis. In den Gefühlen (oder Emotionen) erlebt der Mensch seine Beziehung zu den Dingen und Erscheinungen. Lust und Unlust, Freude und Traurigkeit, Liebe und Haß, Kampfbereitschaft und Furcht, Erregung und Ruhe sind Beispiele solcher Gefühle. So vielfältig wie die Situationen sind, ist auch das, was der Mensch dabei erlebt. Die Dinge und Erscheinungen der Umgebung, die Beziehungen zu anderen Menschen, zu ihren Handlungen, zum eignen Tun und schließlich auch zu sich selbst werden unterschiedlich wahrgenommen. Was der Mensch erkennt oder tut, hängt also auch ab von den gesellschaftlichen Verhältnissen und von seiner Rolle, die er darin spielt. Die eigenen Erlebnisse bringen positive oder negative Gefühle hervor. „Die Gesamtheit der menschlichen Gefühle ist ihrem Wesen nach die Gesamtheit der Beziehungen des Menschen zur Welt in der lebendigen und unmittelbaren Form des persönlichen Erlebens.“ (S.L. Rubinstein) Subjektive Wahrnehmungen und die objektive Wahrheit Auf unsere Sinnesorgane wirken täglich eine Vielzahl unterschiedlicher Umwelteinflüsse. Nicht immer ist uns das bewußt, denn ein beträchtlicher Teil dieser Reize liegt unterhalb der Empfindungsschwelle. Sie wirken auf das Unterbewußtsein, bleiben unbewußt, beeinflussen aber dennoch unser Verhalten. „Wahrnehmung“, so schreibt B.M.Teplow, „nennt man den psychischen Prozeß der Widerspiegelung von Gegenständen oder Erscheinungen der Wirklichkeit, die im gegebenen Augenblick auf unsere Sinnesorgane wirken. Die wichtigste Besonderheit der Wahrnehmung besteht darin, daß sie immer Gegenstände und Erscheinungen der Wirklichkeit widerspiegelt und nicht nur einzelne ihrer Eigenschaften und Merkmale.“ [1] Wir sehen also nicht nur Lichtflecke, hören nicht nur einzelne Töne oder Geräusche, fühlen nicht nur eine rauhe oder glatte Oberfläche, sondern assoziieren damit stets auch eine konkrete Wirklichkeit, konkrete Gegenstände oder Personen. Um nun den Wahrheitsgehalt dieser subjektiven Wahrnehmungen zu überprüfen, stehen eine Vielzahl von Kriterien zur Verfügung, deren letztlich Entscheidendes immer die Praxis ist, anhand derer sich überprüfen läßt, ob die eigene Wahrnehmung richtig war, oder ob wir einem Irrtum oder einer Täuschung unterliegen. Kurz gesagt: „Vom Standpunkt des dialektischen Materialismus ist Wahrheit die Adäquatheit der Erkenntnis, die Übereinstimmung der Erkenntnis mit dem Erkenntnisobjekt.“ [2] Woher kommen die Gefühle? Die Emotionen sind ursprünglich geprägt von Trieben und Instinkten. Doch das ist nicht das Entscheidende. Denn im Verlaufe der menschlichen Entwicklungsgeschichte hat sich vor allem auch das „Kulturgewordene“ durchgesetzt. Neue Umwelteinflüsse, neue Gegenstände und neue gesellschaftliche Verhältnisse bringen neue Gefühle hervor, sie beeinflussen die Wahrnehmung und die Weltanschauung, und mit ihnen entsteht auch eine neue Beziehung des Menschen zu seiner sozialen Umgebung. Emotionale Prozesse sind also immer zugleich auch spezifische Erkenntnisprozesse. Die Gefühle als sozialer Motor In ihrer höheren Form, als intellektuelle, moralische oder ästhetische Gefühle, bilden die Gefühle eine dialektische Einheit vom Emotionalem und Intellektuellen. Das heißt, daß die Interessen, Überzeugungen und Ideale eines Menschen immer eine starke emotionale Komponente besitzen. Karl Marx unterstrich, daß Leidenschaft „die nach seinem Gegenstand energisch strebende Wesenskraft des Menschen“ [3] sei. Und W.I.Lenin hob hervor, daß es ohne menschliche Emotionen niemals ein Suchen der Menschen nach Wahrheit gegeben hat, gibt und geben wird. Das bedeutet andersherum aber eben auch, daß die Gefühle von Überlegungen, von weltanschaulichen Einstellungen und Überzeugungen gelenkt und gerichtet sein können und so zu einem starken Antrieb oder Motor für das menschliche Verhalten werden. Was jemand liebt oder haßt, was ihn freut oder schmerzt, ihn berührt oder gleichgültig läßt, das charakterisiert in hohem Maße sein wahres Wesen und beeinflußt seine Motivation. Die „Erziehung der Gefühle“ ist daher eine ideologisch äußerst bedeutsame Aufgabe. Der Imperialismus manipuliert die Gefühle Die imperialistische Manipulierung der Menschen mißbraucht gezielt die Gefühle, um sie ihren ideologischen Zielen unterordnen zu können. Dabei wird das Gefühl von der rationalen Erkenntnis getrennt. Man erfand das sogenannte „positive Denken“, und scheut, beispielsweise, nicht einmal davor zurück, auch künstlerische Mittel (musikalische Strukturen, bildhafte Darstellungen, Videosequenzen usw.) oder kulturelle und folkloristische Traditionen dafür einzusetzen, um „gegenstandslose Gefühle“ (die auf engste mit Trieben und Instinkten verbunden sind) zu aktivieren, um etwa rauschähnliche Affektzustände wie Euphorie und Ekstase zu erzeugen oder schließlich Exzessivität und Brutalität zu schüren. So erweist sich die imperialistische Manipulation in ihrer psychologischen Technik tatsächlich als kulturfeindlich. Das gilt sowohl für die Methode der Zerstörung des Denkens in kausalen Zusammenhängen als auch für die Deformierung der „kulturgewordenen“ Inhalte und Formen menschlicher Gefühle. Am Ende dieser emotionalen Stufenleiter steht schließlich die „Lust am Töten“. Damit wird, im kulturgeschichtlichen Sinne gesehen, die echte menschliche Gefühlswelt systematisch zerstört. Der Sozialismus bewahrt und entwickelt echte menschliche Gefühle In vollem Gegensatz dazu ist die sozialistisch humanistische Gefühlsbildung eine große Kulturaufgabe der sozialistischen Gesellschaft. Sie dient den echten, humanistischen Inhalten menschlicher Emotionen, dem Gefühlsreichtum des Individuums als Ausdruck und gestaltendes Element des Reichtums seiner praktischen und geistigen Beziehungen zur Welt sowie der Übereinstimmung zwischen Fühlen, Denken und Handeln. Das sozialistische Persönlichkeitsideal schließt jeden Widerspruch zwischen äußerem Verhalten und innerer Einstellung zu diesem Verhalten aus. Sozialistische Menschenbildung zielt nicht einseitig ab auf ein „Bewußtsein“ im rationalen Sinne, sondern auf sozialistische Einstellungen, Überzeugungen und Ideale, in denen die Gedanken und Emotionen einander völlig durchdringen. Was ist wahre humanistische Bildung? Auf sozialistische Weise zu lernen heißt nicht allein, sich einen notwendigen und richtigen Wissensstoff intellektuell anzueignen, sondern auch das intellektuelle Gefühle des „Wissen-Wollens“, einer „Neugier, die nach vielen Seiten geht“, eines „inneren Drangs“ zum Lernen auszubilden. Nach ihrer spezifischen Eigenart sind sozialistische Kultur und Kunst in besonderem Maße dazu geeignet, eine umfassende Einheit von Denken und Fühlen herauszubilden. In einer sozialistischen Menschengemeinschaft sind menschliche Beziehungen, die sich vorrangig in Gefühlsbindungen ausdrücken (Liebe, Freundschaft, gegenseitige Achtung, Kameradschaft usw.) nicht mehr – wie in der Ausbeutergesellschaft – gesellschaftlich gleichgültige „Privatangelegenheiten“ der persönlichen Moral. Sie werden zu wichtigen Elementen des Wachstums der sozialistischen Gemeinschaft im Ganzen. Die emotionale Bildung hat im Sozialismus eine wichtige gesellschaftsbildende Funktion. Die Falschheit des Friedrich Hayek Es ist klar, daß in der BRD heute viele Menschen das Gefühl haben, in unvergleichlicher Freiheit zu leben, unvergleichliche Möglichkeiten für Bildung, berufliche Entwicklung, Lebensstil und Reisen zu besitzen. Doch das ist eben nur ein Gefühl, das einem Vergleich mit der sozialistischen Gesellschaft nicht standhält, und das spätestens an der finanziellen Grenze zerschellt, die gesetzt ist, und die zugleich auch die sozialen, d.h. die klassenmäßigen Schranken markiert. Dem Gefühl nach werden Ausbeutung, soziale Ungleichheit, bürokratische Willkür und imperialistische Kriege oft akzeptiert und für „normal“ gehalten, sozusagen als der „Preis der Freiheit“ – auch wenn oft die Erkenntnis eine andere ist. Und so wird dieser F.Hayek beispielsweise mit der wahrlich „genialen“ Aussage zitiert, er habe sich mehr als zehn Jahre lang intensiv damit befaßt, den Sinn des Begriffs ‚soziale Gerechtigkeit’ herauszufinden. Der Versuch sei aber gescheitert, und er sei schließlich zu dem Schluß gelangt, daß für eine Gesellschaft freier Menschen dieses Wort überhaupt keinen Sinn habe. Es ist eine einfache Wahrheit, daß die Forderungen der Arbeiterklasse vor allem darauf gerichtet sind, Ausbeutung, soziale Ungleichheit, bürokratische Willkür und imperialistische Kriege abzuschaffen, d.h. den Kapitalismus zu beseitigen und eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten, in der soziale Ungerechtigkeiten keinen Platz mehr haben. Das konnte oder wollte Hayek natürlich nicht herausfinden. Auf ihn trifft zu, was Helvétius einmal sagte: „Die Wahrheit ist für die Dummen wie eine Fackel, die den Nebel erleuchtet, ohne ihn zu vertreiben.“ Quellen: [1] Boris Michailowitsch Teplow: Psychologie, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1957, S.55. [2] M.Buhr/A.Kosing: Kleines Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, Dietz Verlag, Berlin 1981, S.334. [3] Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Drittes Manuskript - Kritik der Hegelschen Dialektik und Philosophie überhaupt, in: K.Marx u. F.Engels, Werke, Ergänzungsband, 1. Teil, S.579. Siehe auch: Kulturpolitisches Wörterbuch, Dietz Verlag Berlin (DDR), 1970, S.162f. (teilw.übern.)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen