Freitag, 7. September 2012

Wehrpflicht, Berufsarmee oder Abschaffung des Heeres?

(Teil 2) Von Tibor Zenker Abschaffung des Bundesheeres kominform.at vom 22.03.2011 (auf Kommunisten-online am 7. Seotember 2012) In kleineren Teilen der Sozialdemokratie, vor allem in der Parteijugend, sowie in der KPÖ grassiert die Forderung nach einer schlichten Abschaffung des Bundesheeres. Diese Frage wurde im Zuge der Wehrpflichtdebatte zwar gar nicht gestellt, sie markiert aber dennoch eine mögliche Lösung. Es gibt weltweit vier Länder bzw. Territorien ohne eigene Armee. Dies ist zunächst Island, selbst NATO-Gründungsmitglied, wo die Landesverteidigung den USA bzw. der NATO übertragen wurde, zudem existiert seit kürzerer Zeit ein Übereinkommen mit Norwegen (ebenfalls NATO-Mitglied), wonach der isländische Luftraum durch die norwegische Luftwaffe zu sichern sei. Dies ist zweitens Panama, wo jedoch die Armee der USA bis 1999 stationiert war, wenngleich in Wirklichkeit vorrangig, um den Kanal zu sichern. In weiterer Folge wurden Spezialeinheiten der panamaischen Polizei geschaffen, die quasi-militärische Aufgaben zu übernehmen haben. 2009 wurden schließlich wieder zwei US-Militärstützpunkte in Panama eingerichtet. Weiters wäre da drittens Costa Rica, wo 1949 per Verfassung die Armee abgeschafft wurde. Seither werden klassische Heeresaufgaben durch Spezialeinheiten der Polizei wahrgenommen. Außerdem wurde mit dem TIAR-Abkommen bereits 1947 dafür gesorgt, dass die USA im Verteidigungsfall für die Sicherheit Costa Ricas zu sorgen hätten. Gegenwärtig haben die USA im Gegenzug die Erlaubnis, in größerer Zahl Kriegsschiffe und Soldaten in Costa Rica zu stationieren. Und dies ist viertens Grönland, wo einerseits ebenfalls US-Basen existieren, andererseits im Zweifelsfall das NATO-Mitglied Dänemark militärisch verantwortlich ist. Kurz zusammengefasst: Natürlich verzichtet kein Staat der Erde auf das Heerwesen, es sei denn, um sich in die Abhängigkeit eines anderen Staates oder eines Militärbündnisses zu begeben. Das ist die Realität unserer Zeit: Einfach so, dir-nix-mir-nix, die Armee abzuschaffen, spielt's nicht. Aber: Muss das so sein und muss das so bleiben? Klare Antwort: Nein. Allerdings hängt dies sehr von den Umständen ab. Lenin schrieb über die „Entwaffnungsdebatte“, die 1916 die Abschaffung des Heerwesens (erfolglos) zur sozialdemokratischen Position erheben wollte: „Das grundlegende Argument besteht darin, die Forderung der Entwaffnung sei der klarste, entschiedenste, konsequenteste Ausdruck des Kampfes gegen jeden Militarismus und gegen jeden Krieg. In diesem grundlegenden Argument besteht eben der Grundirrtum der Entwaffnungsanhänger. Die Sozialisten können nicht gegen jeden Krieg sein, ohne aufzuhören, Sozialisten zu sein.“ [23] Wie kommt Lenin zu einer solchen Aussage? Er führt drei Möglichkeiten nicht-imperialistischer, somit gerechter Kriege an. Zum ersten den antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungskrieg unterdrückter Völker gegen imperialistische Mächte; zweitens den revolutionären Bürgerkrieg; drittens den Verteidigungskrieg eines sozialistischen Staates gegen imperialistische Interventionen. Damit hat Lenin natürlich recht. Wer - außer reaktionären Freunden, Handlangern oder Apologeten des Imperialismus und Faschismus - wollte und sollte auch z.B. dem Verteidigungskrieg Vietnams gegen Frankreich und die USA, dem Verteidigungskrieg der UdSSR gegen NS-Deutschland, dem Republikanischen Widerstand in Spanien gegen den Franco-Putsch oder dem Februaraufstand der revolutionären Teile des Schutzbundes und der Arbeiterklasse in Österreich 1934 die Berechtigung absprechen? Und vor allem: Wie war denn der Sieg der Oktoberrevolution möglich? So gesehen ist, wie Lenin schreibt, „der Hauptfehler der Forderung der Entwaffnung ... auch der, dass alle konkreten Fragen der Revolution dadurch umgangen werden. Oder sind etwa die Entwaffnungsanhänger für eine ganz neue Art entwaffneter Revolution?“ [24] Wenn man freilich keine wirkliche und erfolgreiche Revolution der Arbeiterklasse gegen kapitalistische Ausbeutung und bürgerliche Unterdrückung wünscht, so kann man natürlich leichten Herzens und berechtigt für die Entwaffnung und die Abschaffung jeder Armee eintreten. Nicht falsch verstehen: Nicht jede Revolution muss ein militärischer Aufstand oder gar ein Bürgerkrieg sein - das ist alles andere als wünschenswert. Aber jede Revolution muss bewaffnet, weil nachdrücklich und verteidigungsfähig sein. Marx formulierte: „Wir müssen den Regierungen erklären: Wir wissen, dass ihr die bewaffnete Macht seid, die gegen die Proletarier gerichtet ist; wir werden auf friedlichem Wege gegen euch vorgehen, wo uns das möglich sein wird, und mit den Waffen, wenn es notwendig werden sollte.“ [25] Daraus folgt Folgendes: „Erst nachdem wir die Bourgeoisie in der ganzen Welt, und nicht nur in einem Lande niedergeworfen, vollständig besiegt und expropriiert haben, werden Kriege unmöglich werden. Und es ist wissenschaftlich gar nicht richtig - und gar nicht revolutionär - wenn wir eben das Wichtigste, die Niederwerfung des Widerstandes der Bourgeoisie, das Schwierigste, das am meisten Kampf Erfordernde im Übergange zum Sozialismus umgehen oder vertuschen. Die 'sozialen' Pfaffen und die Opportunisten sind gerne bereit, von dem zukünftigen friedlichen Sozialismus zu träumen, sie unterscheiden sich aber von den revolutionären Sozialdemokraten eben dadurch, dass sie von erbitterten Klassenkämpfen und Klassenkriegen, um diese schöne Zukunft zur Wirklichkeit zu machen, nicht denken und sorgen wollen.“ [26] Ähnlich schreibt letztlich auch Karl Liebknecht, indem er das seiner Ansicht nach ernsthafteste Gegenargument gegen die Entwaffnung bzw. Wehrlosmachung - allerdings im Kriegsfall, in dem sich das Proletariat selbst der Bewaffnung verweigert - wiedergibt: „Eine völlige internationale Verwirklichung, eine gänzliche allgemeine Wehrlosmachung könne nicht erzielt werden ... - gerade die zivilisierten Mächte würden verhältnismäßig am stärksten geschwächt und so zur willkommenen Beute niederer Kulturen werden. [...] Ein voller Erfolg ist nicht zu erzielen; das Maß des Erfolges, der Wehrlosmachung, wird im direkten Verhältnis zu dem Maße an Schulung und Bildung stehen, deren die Arbeiterklasse jedes Landes teilhaftig ist: Das rückständigste Volk bleibt am wehrhaftesten. Eine Aktion dieser Art wäre so lange eine Prämie auf kulturelle Rückständigkeit, als nicht die Schulung und Kampfbereitschaft der großen Masse des Proletariats in den vom Kriege betroffenen Ländern fast gleichmäßig aufs höchste gesteigert ist. Organisation und allgemeine revolutionäre Aufklärung der Arbeiterschaft sind die Vorbedingungen für einen erfolgreichen General- und Militärstreik im Falle eines Krieges. Die bloße antimilitaristische Propaganda dazu zu verwenden wäre Phantastik. Hier liegt es in der Tat für den Normalfall so: Wenn das Proletariat erst so weit ist, solche Aktionen durchführen zu können, ist es weit genug, sich die politische Macht zu erobern.“ [27] - Kurz gesagt gilt wiederum: Innerhalb des Imperialismus bleibt dies wohl Utopie und wäre im Ernstfall negativ zu sehen, in der bereits revolutionären Situation läge der Ausgangspunkt der Kriegsbeendigung vor, der allerdings direkt zur Übernahme der politischen Macht leiten müsste, also zur Diktatur des Proletariats, zum Sozialismus - was wiederum nicht unbewaffnet vonstatten gehen kann. Wir leben nun mal im kapitalistischen Imperialismus, und diese „Epoche muss notwendig die Politik des Kampfes gegen nationale Unterdrückung und des Kampfes des Proletariats gegen die Bourgeoisie erzeugen und daher die Möglichkeit und die Unvermeidlichkeit erstens der revolutionären nationalen Aufstände und Kriege, zweitens der Kriege und Aufstände des Proletariats gegen die Bourgeoisie, drittens der Vereinigung beider Arten von revolutionären Kriegen usw.“ [28] Mit alledem ist indirekt bereits gesagt, unter welchen Bedingungen die komplette Entwaffnung und Abrüstung, die Abschaffung jeglicher Armee tatsächlich möglich sein wird, nämlicher in einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, d.h. in der klassenlosen Gesellschaft, die global verwirklicht ist. Vorher, innerhalb des Imperialismus oder auch solange imperialistische Staaten neben sozialistischen bestehen, ist dies unmöglich. Lenin: „Die Bewaffnung der Bourgeoisie gegen das Proletariat ist eine der größten, kardinalsten, wichtigsten Tatsachen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Und angesichts dieser Tatsache will man den revolutionären Sozialdemokraten zumuten, sie sollen die 'Forderung' der 'Entwaffnung' aufstellen! Das wäre eine vollständige Preisgabe des Klassenkampfstandpunktes und jedes Gedankens an die Revolution. Wir sagen: Bewaffnung des Proletariats zum Zwecke, die Bourgeoisie zu besiegen, zu expropriieren und zu entwaffnen - das ist die einzig mögliche Taktik der revolutionären Klasse, eine Taktik, die durch die ganze objektive Entwicklung des kapitalistischen Militarismus vorbereitet, fundiert und gelehrt wird. Nur nachdem das Proletariat die Bourgeoisie entwaffnet hat, kann es, ohne an seiner weltgeschichtlichen Aufgabe Verrat zu üben, die Waffen zum alten Eisen werfen, was es auch ganz sicher dann - aber nicht früher - tun wird.“ [29] Jeder Staat ist ein Klassenstaat, in dem herrschende Klassen andere Klassen niederhalten, um eben den Klassenstaat und die eigene Herrschaft aufrechtzuerhalten - hierfür benötigt der Staat eine öffentliche Gewalt, inklusive Formationen bewaffneter Menschen (Armee, Polizei). Das gilt auch für den sozialistischen Staat - auch in diesem muss das als herrschende Klasse organisierte Proletariat die entmachtete Bourgeoisie niederhalten, um die Aufhebung des Privateigentums durchzusetzen und gegen konterrevolutionäre Restaurationsversuche vorgehen zu können sowie um die Einhaltung sozialistischer Rechtsnormen zu gewährleisten. Erst und nur auf diese Weise wird es möglich, eine klassenlose und herrschaftsfreie Gesellschaft zu schaffen, in der das Proletariat seine eigene Klassenexistenz und seine eigene Herrschaft aufgehoben hat, wie Engels schreibt, „damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf, und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, das heißt eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). [...] Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft - ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht 'abgeschafft', er stirbt ab.“ [30] So auch Lenin: „Erst in der kommunistischen Gesellschaft, wenn der Widerstand der Kapitalisten schon endgültig gebrochen ist, wenn die Kapitalisten verschwunden sind, wenn es keine Klassen (d.h. keinen Unterschied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu den gesellschaftlichen Produktionsmitteln) mehr gibt - erst dann hört der Staat auf zu bestehen ... Erst dann ist eine tatsächlich vollkommene Demokratie, tatsächlich ohne jede Ausnahme, möglich und wird verwirklicht werden. Und erst dann beginnt die Demokratie abzusterben, infolge des einfachen Umstands, dass die von der kapitalistischen Sklaverei, von den ungezählten Gräueln, Brutalitäten, Widersinnigkeiten und Gemeinheiten der kapitalistischen Ausbeutung befreiten Menschen sich nach und nach gewöhnen werden, die elementaren, von alters her bekannten und seit Jahrtausenden in allen Vorschriften gepredigten Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens einzuhalten, sie ohne Gewalt, ohne Zwang, ohne Unterordnung, ohne den besonderen Zwangsapparat, der sich Staat nennt, einzuhalten.“ [31] Abgeschafft ist mit dem Absterben des politischen Staates der Arbeiterklasse - und erst dann - auch die Notwendigkeit einer Armee und der Polizei als integrale Bestandteile des bisherigen Staatswesens und seiner öffentlichen Gewalt, denn die“arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wir keine eigentliche politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offizielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist.“ [32] Dies gilt dann endlich auch auf internationaler Ebene: „In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.“ [33] Dies also sind die Bedingungen, unter denen die Abschaffung jeglicher Armee möglich und auch sinnvoll und wünschenswert ist. Vorher, im gegenwärtigen bürgerlichen Staat die Entwaffnung, im konkreten österreichischen Fall die Abschaffung des Bundesheeres zu fordern, bedeutet - nolens-volens - indirekt gerade die Aufgabe des Klassenkampfes und der sozialistischen Revolution, somit just jener Mittel, die das Ende jeglicher politischer Gewalt, des staatlichen Gewaltapparates an sich und somit des Heerwesens einleiten können und sollen. Es versteht sich von selbst, dass die heutigen Sozialdemokraten, Sozialisten und auch einige nominelle Kommunisten dieses marxistische Basiswissen nicht zwingend intus haben bzw. nicht haben wollen oder sogar explizit ablehnen. Also seien abschließend noch zwei recht praktische, leichter nachvollziehbare Argumente gegen die Abschaffung des Bundesheeres angeführt. Wie bereits gehört, sind die bewaffneten Einheiten der Staatsmacht nicht auf die Armee zu reduzieren, sondern inklusive der Polizei zu denken. Insofern hinterließe die Abschaffung des österreichischen Bundesheeres immer noch ein stehendes Polizeiheer von über 20.000 Männern und Frauen. Die Konsequenz wäre daher also die de-facto-Schaffung eines Berufsheeres, das eben nicht im Verteidigungs-, sondern im Innenministerium angesiedelt wäre. Die Polizei würde zusätzlich verschiedene vorherige Heeresaufgaben übernehmen müssen und hierfür diverse Spezial- und Sondereinheiten einrichten - zu den bisher bereits vorhandenen wie dem EKO Cobra, der EE WEGA oder der EA Kranich. Damit verbunden wären die Anschaffung entsprechender militärischer Gerätschaft sowie die personelle Aufstockung der Polizei. Das reale Ergebnis würde sich also definitiv nicht gerade mit den Intentionen der Abschaffungs- und Entwaffnungsbefürworter decken. - Dies im Inneren des Staates. Nach außen wäre die Einbindung in ein wirkliches Militärbündnissystem nötig (siehe das bereits erwähnte isländische Beispiel). Ob hierfür bereits die EU ausreichen könnte oder aber denn doch der NATO-Beitritt Österreichs absehbar und unvermeidbar wäre, ist offen. Tatsache ist jedenfalls, dass Österreich - mit Ausnahme der Schweiz und Liechtensteins - heute ausschließlich von EU- und NATO-Mitgliedstaaten umgeben ist. Zudem ist Österreich ohnedies schon seit 1995 Mitglied der NATO-“Partnerschaft für den Frieden“. Ohne eigene Landesverteidigung müssten verschiedene Aufgaben - wie z.B. die Luftraumüberwachung - wohl an NATO-Mitgliedstaaten übergeben werden, man würde also, ob nun als Vollmitglied oder nicht, weiter „hineinrutschen“ in die NATO sowie vermutlich unweigerlich näher an den effektivsten Bündnispartner, nämlich Deutschland, heranrücken und vermehrt in dessen Abhängigkeit geraten. Die Chimäre der Neutralität, um die es ohnedies schon heute nicht gut bestellt ist, wäre damit freilich gänzlich passé. - Auch diese Ergebnisse wären als Perspektive wohl nicht ganz diejenigen, die die Befürworter einer Abschaffung des Bundesheeres sich gewünscht hätten. Mit Lenin können wir zur Idee der Abschaffung des Heerwesens resümieren - und gerade auf Österreich treffen diese Anschauungen wirklich punktgenau zu: „Entwaffnung als soziale Idee, d.h. eine solche Idee, die von irgendeiner sozialen Umgebung geboren ist und auf eine soziale Umgebung wirken kann und nicht nur eine persönliche Schrulle bleibt, entspring offenbar aus den kleinlichen und ausnahmsweise 'ruhigen' Verhältnissen einiger Kleinstaaten, die abseits der blutigen Weltstraße des Krieges liegen und weiter zu liegen hoffen. ... Wir sind klein, unser Heer ist Mein, wir können nichts gegen Großmächte (und darum auch nichts gegen die gewalttätige Einbeziehung in einen imperialistischen Bund mit irgendeiner Gruppe der Großmächte...), wir wollen ruhig bleiben in unserem Winkel und Winkelpolitik treiben, wir fordern Entwaffnung, bindende Schiedsgerichte, 'permanente' (etwa wie für Belgien?) Neutralität usw. - Kleinstaatliches Beiseite-sein-Wollen, kleinbürgerliches Streben, von großen Weltkämpfen fernzubleiben, seine etwaige Monopolstellung zum engherzigen Passivsein ausnützen - das ist die objektive gesellschaftliche Umgebung, die der Idee der Entwaffnung einen gewissen Erfolg und Verbreitung in einigen Kleinstaaten sichern kann. Natürlich ist solches Streben illusionär und reaktionär, der Imperialismus wird sowieso die Kleinstaaten in den Wirbel der Weltwirtschaft und der Weltpolitik einbeziehen. [...] Objektiv entspricht die Entwaffnung der opportunistischen, engnationalen, beschränkt kleinstaatlichen Linie der Arbeiterbewegung. Objektiv ist die Entwaffnung das nationalste, das spezifisch nationale Programm der Kleinstaaten, kein internationales Programm der internationalen revolutionären Sozialdemokratie.“ [34] Einführung eines Berufsheeres Die Einführung eines Berufsheeres, wie dies nun grotesker Weise ausgerechnet von der SPÖ gefordert wird, ist definitiv keine linke Position - wir müssen uns damit gewiss nicht allzu lange aufhalten. Wir haben oben schon Einiges über die Vorzüge der Wehrpflicht gegenüber der Berufsarmee gehört, zentral bleibt freilich die bedingungslose Einsetzbarkeit bezahlter Soldaten im Inneren des Staates, während wehrpflichtige Soldaten immer ein Spiegel der Gesamtbevölkerung und mit dieser verbunden sind. Das ändert zwar nichts an der Generalität und den Offizieren, die in aller Regel unbedingte Verfechter des bestehenden Staates und seiner Ordnung sein werden, wohl aber verbleiben dem einfachen Rekruten seine zivilen Beziehungen zur Gesellschaft, in die er auch wieder zurückkehrt. Im Zuge der umgekehrten Situation, als es um die Abschaffung berufsmäßiger stehender Heere zugunsten von Wehrpflicht und Milizsystem ging, schrieb Engels: „Ich gehe ... von der Voraussetzung aus, die sich mehr und mehr allgemeine Anerkennung erobert: Dass das System der stehenden Heere in ganz Europa auf die Spitze getrieben ist in einem Grad, wo es entweder die Völker durch die Militärlast ökonomisch ruinieren oder in einen allgemeinen Vernichtungskrieg ausarten muss, es sei denn, die stehenden Heere werden rechtzeitig umgewandelt in eine auf allgemeiner Volksbewaffnung beruhenden Miliz. Ich versuche, den Beweis zu führen, dass diese Umwandlung schon jetzt möglich ist, auch für die heutigen Regierungen und unter der heutigen politischen Lage. [...] Ich suche nur festzustellen, dass vom rein militärischen Standpunkt der allmählichen Abschaffung der stehenden Heere absolut nichts im Wege steht; und dass, wenn trotzdem diese Heere aufrechterhalten werden, dies nicht aus militärischen, sondern aus politischen Gründen geschieht, dass also mit einem Wort die Armeen schützen sollen nicht so sehr gegen den äußeren wie gegen den inneren Feind.“ [35] Freilich zeigte sich im 20. Jahrhundert, dass auch die Wehrpflichtigenheere, die natürlich einen festen Kern an Berufssoldaten haben, ebenso ihre Aufgaben im Sinne der imperialistischen Staaten erfüllen können, sowohl im Inneren wie nach außen. Die Hoffnung von Marx und Engels, dass das Wehrpflichtigenheer ein Demokratisierungsfaktor sein werde, hat sich in dieser Form nicht erfüllt - wir werden weiter unten sehen, warum dies so war bzw. was sich hierfür ändern müsste. Faktum ist trotzdem, dass das Berufsheer die größere Gefahr für den Einsatz im eigenen Land, gegen das eigene Volk darstellt, als es ein Wehrpflichtigenheer ist. Ein gutes Beispiel geben die Ereignisse der letzten Wochen und Monate in Nordafrika: Während sich in Tunesien die wehrpflichtigen Soldaten mit der Volkserhebung solidarisierten, kamen in Libyen gerade die professionellen Söldner zur Niederschlagung zunächst der Proteste, dann des Aufstandes zum Einsatz. Warum heute aber auch auf internationaler Ebene, d.h. nach außen, das Berufsheer für die Imperialisten wünschenswert wird, hat folgende Gründe: „Ein oberflächlicher Blick über die Entwicklung des Heerwesens“, stellt Liebknecht fest, „ergibt, in welch energischer Abhängigkeit Art der Zusammensetzung und Umfang der Armee ... von der Waffentechnik stehen.“ [36] Die Ausformung des Heerwesens entspricht immer dem Stand der Waffentechnik und der Kriegsführung. Die ökonomische, wissenschaftliche und technische - eben auch waffen- und rüstungstechnische - Überlegenheit der fortgeschrittenen Industrienationen, d.h. der imperialistischen Staaten, führt dazu, dass diese die Massenarmeen des 20. Jahrhunderts in dieser Form nicht mehr benötigen. Zwar braucht die imperialistische Hegemonialmacht USA immer noch eine große Zahl an Fußvolk, um überall präsent sein zu können, die Durchschlagskraft der US-Armee basiert jedoch auf der Raketentechnik, der Luftwaffe, der Kriegsmarine und, nicht zuletzt, der Drohung der Atomwaffen. Ähnliches gilt, etwas abgestuft freilich, für die europäischen Großmächte, aber auch für kleinere imperialistische Staaten wie Österreich. Auch in Österreich weiß man, dass die Vorstellung von der Panzerschlacht im Marchfeld schon seit Jahrzehnten überholt ist, benötigt werden zahlenmäßig überschaubare Spezialisten, die gut ausgerüstet sind und auch im militärischen Bereich im imperialistischen Bündnissystem ihren Part erfüllen können. Insofern ist es kein Zufall, dass es gerade die Schüssel-Regierungen in Österreich waren, die als erste offen für die Einführung eines Berufsheeres und die Integration Österreichs in die NATO eintraten - jeder kann sich ausrechnen, dass die jetzige Ablehnung derselben Position durch die ÖVP nur ein opportunistisches Scheingefecht darstellt: Sie kann nun sogar, wieder einmal, ihren eigene Job durch die SPÖ erledigen lassen. Angst hat die ÖVP lediglich vor den finanziellen Begleiterscheinungen, nämlich vor den im Falle der Einführung eines Berufsheeres entstehenden neuen Kosten in den Bereichen des zivilen Katastrophenschutzes sowie der bislang minderbezahlten Tätigkeiten der Zivildiener im Gesundheits- und Sozialsystem. Man orientiert in der Frage des Berufsheeres freilich auch auf das Kern-EUropäische Bündnis, wo an der Seite Deutschlands ein fixer Platz angestrebt wird. Wenn die Neuaufteilung der Welt in die heiße Phase kommt und früher oder später die Hegemonialposition der USA offen in Frage gestellt werden soll, benötigt man eine schlagkräftige und einsatzfähige EU-Armee unter deutsch-französischer Führung. In Gehorsam dieser Strategie soll in allen Staaten ein Berufsheer eingeführt und aus dem umfangreichen Sortiment des EU-Rüstungskonzerns EADS ausgerüstet werden. „Der Militarismus muss“, schreibt Liebknecht, „um seinen Zweck zu erfüllen, die Armee zu einem handlichen, gefügigen, wirksamen Instrument machen. Er muss sie in militärisch-technischer Beziehung auf eine möglichst hohe Stufe heben und andererseits, da sie aus Menschen, nicht Maschinen, besteht, also eine lebendige Maschinerie ist, mit dem richtigen 'Geist' erfüllen.“ [37] So viel zur internationalen Zielsetzung der Einführung eines Berufsheeres - und diese ist ganz klar abzulehnen. Beibehaltung der Wehrpflicht Wenn Berufsheer und Abschaffung der Armee nicht zu den wünschenswerten Ergebnissen führen, so zeichnet sich klarerweise ab, dass das Wehrpflichtigenheer und das Milizsystem beibehalten werden sollten. Das bedeutet aber keineswegs, dass diese 1:1 so bleiben sollen, wie der Status quo ist, denn dieser ist mehr als fragwürdig und nicht im Sinne der Arbeiterbewegung. So konnte denn auch Liebknecht berechtigt feststellen: „Die Neigung zur Einführung einer allgemeinen Wehrhaftmachung ... ist kein Symptom des Fortschritts. Sie heißt trotz alledem eine Verstärkung des Militarismus ... und sie liegt immerhin auf der abschüssigen Bahn zum stehenden Heer“. [38] Es bedarf also mehr, einer anderen Wehrpflicht und einer anderen Miliz. Als Lenin sich 1916 einige Gedanken über ein Reformprogramm des Heerwesens machte, schrieb er Folgendes nieder: „Was die Miliz betrifft, so würden wir sagen: Wir sind nicht für eine bürgerliche, sondern nur für eine proletarische Miliz. Deshalb keinen Mann und keinen Groschen nicht nur für das stehende Heer, sondern auch für die bürgerliche Miliz auch in solchen Ländern wie die Vereinigten Staaten, die Schweiz, Norwegen usw., um so mehr, als wir selbst in den freiesten republikanischen Staaten (z.B. in der Schweiz) die fortschreitende Verpreußung der Miliz, besonders seit 1907 und 1911, und deren Prostituierung zu Militäraufgeboten gegen die Streiks sehen. Wir können fordern: Wahl der Offiziere durch die Mannschaften, Abschaffung jeder Militärjustiz, Gleichstellung der ausländischen Arbeiter mit den einheimischen (besonders wichtig für imperialistische Länder, die fremde Arbeiter in steigender Zahl, wie z.B. die Schweiz, schamlos ausbeuten und rechtlos machen), weiter das Recht jeder, sagen wir, hundert Einwohner des Staates, freie Vereinigungen zur Erlernung des Kriegshandwerks zu bilden, freie Wahl der Instruktoren, Entschädigung derselben auf Staatskosten usw. Nur so könnte das Proletariat alles Militärische wirklich für sich und nicht für seine Sklavenhalter erlernen, was absolut in seinem Interesse liegt.“ [39] Natürlich ist eine solche Reform wohl in keinem bürgerlichen, imperialistischen Staat tatsächlich durchsetzbar. Aber das Wesen der Reformpolitik besteht darin, sich bestimmten Zielsetzungen schrittweise anzunähern - das betrifft auch die Wehrpflicht und das Milizsystem. Niemals wird die bürgerliche, imperialistische Staatsmacht ein vollständiges Milizsystem akzeptieren, wie dies Engels 1893 als à la longue geradezu friedenssichernde Idee innerhalb des Kapitalismus propagierte [40] - immer werden die Herrschenden, vorrangig für den Einsatz im Inneren des Staates, heute aber auch für begrenzte außenpolitische Interventionen, im Kern ein stehendes Heer benötigen, in dem autoritäre Leitungsfunktionen professionell besetzt sind. Eine antimilitaristische Strategie kann und muss hier ansetzen, hier aktiv werden - und dies ist realistisch besehen weitgehend alternativlos. Maßgeblich ist, die Wehrpflichtigenarmee als Ort des ideologischen Klassenkampfes zu verstehen. In diesem Sinne muss sich die politische Arbeit „in immer verstärktem Maße, systematisch der Soldaten und auch der Unteroffiziere annehmen, ihre materiellen und sozialen (dienstlichen) Interessen ... energisch vertreten“. [41] Dies deshalb, weil auch die Soldaten in überwältigender Mehrheit Angehörige der Arbeiterklasse sind. Sie sollen nicht, wie bisher, ihre Staatsbürgerrechte am Kasernentor abgeben müssen und einer unmenschlichen, autoritären Parallelgesellschaft ausgeliefert sein, sondern demokratische Grundrechte müssen auch im Heer gegeben sein. Letzten Endes ginge es um eine regelrechte Demokratisierung der Armee, wo Vorgesetzte durch Wahlen bestimmt werden (dies wäre zudem ein Aspekt einer größeren antimonopolistischen und antiimperialistischen Strategie). Es ist eine angemessene Entlohnung der Wehrpflichtigen (ebenso wie der Zivildienstleistenden) nötig, eine angemessene Unterkunft und Verpflegung sowie der Schutz vor Schikanen und Misshandlungen (wofür die bisherige Beschwerdekommission definitiv nicht ausreicht), was wiederum eine effektive quasi-gewerkschaftliche Selbstorganisation der Wehrpflichtigen verlangt. Mit einer solchen Wehrpflicht und einem solchen Milizsystem, in dessen Rahmen die stehende Truppe massiv reduziert wird und schlussendlich lediglich Ausbildungszwecke erfüllt, könnte die Arbeiterbewegung leben und beidem sogar Nützliches abgewinnen. Dies wäre eine Position, die vertretbar ist. Neutralität und Bundesheer Zum Abschluss noch einige Worte zur Verbindung von Bundesheer und Neutralität, wie sie in Österreich oft ins Felde geführt wird. Wir haben einerseits gesehen, dass eine etwaige Abschaffung des Heeres zwangsläufig zum Verlust der Neutralität und der vollständigen Souveränität Österreichs führen muss. Die Abschaffung des Bundesheeres ist definitiv nicht mit der österreichischen Neutralität vereinbar, sowohl aufgrund der sodann fehlenden Verteidigungsmöglichkeit derselben als auch aufgrund der absehbaren Konsequenz einer notwendigen Integration in ein Militärbündnis oder zumindest der Abgabe von Souveränitätsrechten an ein solches bzw. den Militärapparat eines anderen Staates. Wir haben andererseits gesehen, dass die Berufsarmeen geradezu einen gar nicht so kleinen Baustein im Rahmen der Militarisierung der EU darstellen und dass eine solche in Österreich die Tür zur offenen NATO-Mitgliedschaft weit aufstoßen würde. - Sehen wir uns nun an, was die gegenwärtige verfassungsrechtliche Grundlage der Republik zum Verhältnis Militär und Neutralität überhaupt behauptet. In Artikel 9a des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes heißt es: „Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität.“ [42] Damit ist die Neutralität als zentrales Element der Landesverteidigung definiert, womit auch gesagt ist: Ohne Heer keine Neutralität. Eine unbewaffnete Neutralität gibt es nicht. Dies entspricht auch dem Neutralitätsgesetz von 1955, das in Verfassungsrang steht: „Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.“ [43] Demgegenüber werden der Unterordnung unter eine fremde Militärmacht, d.h. der Abgabe militärischer Aufgaben an andere Staaten, und der Mitgliedschaft in einem Militärbündnis eine Absage erteilt: „Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen.“ [44] Natürlich ist die Neutralität insgesamt längst massiv aufgeweicht und ausgehöhlt worden. Dies einerseits durch die bereits erwähnte Mitgliedschaft Österreichs in der NATO-“PfP“, andererseits durch die Entwicklung der EU seit dem Beitritt Österreichs 1995. Die praktische Teilnahme an den EU-“Battlegroups“ sowie die festgeschriebene „Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik“ der EU, die fürderhin auch die gemeinsamen Verteidigungspolitik umfassen soll, ziehen die reale Bedeutung der österreichischen Neutralität stark in Zweifel, ebenso verschiedene Inhalte des EU-Vertrages von Lissabon. Tatsache ist, dass die EU, die zunächst wirtschaftliche und politische Gemeinschaftsziele im Mittelpunkt hatte, inzwischen längst auch Züge eines militärischen Bündnisses entwickelt hat - ein Aspekt, dem in der österreichischen Verfassung auch Rechnung getragen wurde. [45] Offensichtlich wurde die Neutralität schlichtweg uminterpretiert, da ihre offene Abschaffung in der Bevölkerung höchst unpopulär wäre. Übrig bleibt im Wesentlichen die Vorgabe, nicht offen in ein reines Militärbündnis, namentlich in die NATO, einzutreten, somit also keine Neutralität im eigentlichen Sinn, sondern eine formelle Bündnisfreiheit. Realistisch betrachtet, war dies informell freilich schon länger so. Die Beschlussfassung der Neutralität als Bedingung der Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 und des Abzuges der Besatzungsarmeen war vorrangig ein Zugeständnis an die UdSSR, die berechtigt befürchten musste, dass Österreich der 1949 gegründeten NATO beitritt. Damit wurde die Eingliederung Österreichs in den antisozialistischen Westblock jedoch lediglich abgemildert. Schon ab 1948 nahm Österreich am US-amerikanischen ERP („Marshallplan“) teil und war dementsprechend 1960 Gründungsmitglied der OECD. Ebenfalls 1960 war Österreich Gründungsmitglied der EFTA. In beiden Organisationen befand sich Österreich in Gesellschaft mehrerer NATO-Mitglieder sowie des bis 1974 faschistischen Staates Portugal. Kurz: Die österreichische Neutralität war natürlich immer eine begrenzte. Und was es definitiv sowieso nicht geben kann, das ist eine Neutralität zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Selbstverständlich stand Österreich immer auf der Seite der USA und Westeuropas, somit in feindlicher Position gegenüber den Staaten des Warschauer Vertrages. In dieser Hinsicht waren Österreich und sein Bundesheer immer in die militärischen Überlegungen der NATO eingebunden, wenn es um die angebliche „Verteidigung“ gegen die sozialistischen Staaten und insbesondere gegen die Armee der Sowjetunion ging - dies war auch das einzige Bedrohungsszenario, das die österreichische Verteidigungspolitik kannte. Seit es mit dem Ende des Warschauer Vertrages vor zwei Jahrzehnten als ständiges Schreckgespenst abhanden gekommen ist, hingen Bundesheer und Neutralität jeweils ein wenig in der Luft. Für die österreichische Armee wurden jedoch bereits neue Betätigungsfelder gefunden. Das Bundesheer beteiligt sich nun auch außerhalb von UNO-Missionen an internationalen Militäreinsätzen und tritt am Balkan sogar als imperialistische Besatzungsarmee auf: Im Rahmen der KFOR im Kosovo, wo man seit 1999 unter NATO-Oberbefehl stationiert ist, sowie seit 2004 in Bosnien im Rahmen der „Operation Althea“ der EU-Streitkräfte (EUFOR), wo man seit 2009 auch den Befehlshaber vor Ort (COM EUFOR) stellt. Ja, sogar bis nach Afghanistan hat es das Bundesheer schon geschafft, wo man allerdings quantitativ nur symbolisch in der ISAF präsent ist. Bislang mussten sich österreichische Soldaten für Auslandseinsätze freiwillig melden - mit der angestrebten Einführung eines Berufsheeres fiele diese Hürde für die internationale Einsatzfähigkeit des Bundesheeres freilich weg. Doch wie steht es nun um die Neutralität? Wie wir gesehen haben, war und ist sie weit davon entfernt, real das zu halten, was sie am Papier verspricht. Man sollte deshalb keine falschen Hoffnungen in sie setzen. Aber das, was sie gewährleisten kann, ist durchaus verteidigungswert. Immerhin verhindert das Neutralitätsgesetz den offenen NATO-Beitritt mit allen Konsequenzen - das möge so bleiben. Immerhin ermöglicht der Neutralitätsstatus theoretisch eine glaubwürdigere aktive friedliche Konfliktlösungspolitik auf internationaler Ebene, wie es die SPÖ-Regierungen Kreiskys z.T. unternommen haben - hiervon ist heute zwar nichts mehr zu sehen, was aber auch der Überlassung des Außenministeriums an die ÖVP seit 1986 geschuldet sein mag (andererseits verfolgt Österreich heute, auch dank des Vehikels EU, wieder offener eigene imperialistische Interessen). Und immerhin verhindert die Neutralität, dass österreichische Soldaten in größerer Zahl an militärischen Interventionen imperialistischer Staatengruppen teilnehmen können. - Und genau hier treffen einander Neutralität und Wehrpflicht. Denn eines ist auch klar: Um in relevanter Quantität und mit allen militär- und rüstungstechnischen Möglichkeiten bei künftigen imperialistischen Interventionen mitzumachen, benötigt Österreich eine Berufsarmee. Es ist kaum denkbar, dass in einer aufgeklärten fortgeschrittenen Informationsgesellschaft wehrpflichtige Soldaten an regelrechten Kampfeinsätzen wie in Afghanistan oder im Irak teilnehmen, denn das Wehrpflichtigenheer trägt in sich denn doch den Hauptgedanken der unmittelbaren Landesverteidigung, die auch im eigenen Land bzw. an dessen Grenzen stattfindet - ein Wehrpflichtigenheer, insbesondere im Falle kleinerer Staaten, taugt kaum für imperialistische Abenteuer in Asien oder Afrika. Einen Berufssoldaten hingegen kann man überall hinschicken. Wir finden hier also ein weiteres gutes Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht. Unterm Strich ergibt sich daher in aller Klarheit eine Position für die Beibehaltung von Neutralität, Wehrpflicht und Milizsystem. Erstere gehört jedoch wieder ernster genommen, die beiden letzteren gehören in eine fortschrittliche Richtung radikal reformiert und demokratisiert. Somit sprechen wir von einer „Beibehaltung“, die dem Inhalt nach eine Kehrtwende um 180 Grad verlangt. Denn momentan entwickelt sich alles in die komplett falsche Richtung, an deren Endpunkt nichts Anderes stehen kann als imperialistische Kriege, an denen sich auch Österreich wieder aktiver beteiligt. Fußnoten: [23] W. I. Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. I, S. 876 [24] ebd., S. 883 [25] Karl Marx, Sitzungsprotokoll der Internationalen Arbeiterassoziation. MEW 17, S. 652 [26] W. I. Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. I, S. 878 [27] Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus. In: Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 197ff. [28] W. I. Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. I, S. 879 [29] ebd., S. 879f. [30] Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. MEW 20, S. 261f. [31] W. I. Lenin, Staat und Revolution. LW 25, S. 476 [32] Karl Marx, Das Elend der Philosophie. MEW 4, S. 182 [33] Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei. MEW 4, S. 479 [34] W. I. Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. I, S. 884ff. [35] Friedrich Engels, Kann Europa abrüsten? In: MEW 22, S. 371 [36] Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus. In: Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 68 [37] ebd., S. 91 [38] ebd., S. 88 [39] W. I. Lenin, Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. In: Ausgewählte Werke, Moskau 1946, Bd. I, S. 884 [40] vgl. Friedrich Engels, Kann Europa abrüsten? MEW 22, S. 369-399 [41] Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus. In: Reden und Aufsätze, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 223 [42] B-VG Art 9a §1 [43] Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs, Art 1 §1 [44] ebd., Art 1 §2 [45] vgl. B-VG Art 23j

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