Sonntag, 2. März 2014

Klamme Putschisten

Um Staatsbankrott zu vermeiden, brauchen Kiews neue Machthaber üppige Kredite. EU und USA schieben Verantwortung dafür dem neoliberalen IWF zu Von Rainer Rupp jungeWelt vom 01.03.2014 Nach drei Monaten schwerer Unruhen hat sich die wirtschaftliche und insbesondere die finanzielle Lage der Ukraine rapide verschlechtert. Die Finanzhilfe, die Moskau Kiew vor dem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch versprochen hatte, hat der Kreml erst einmal auf Eis gelegt. Es ging um umgerechnet 15 Milliarden Euro. Solange in Kiew Putschisten an der Macht sind, die sich auch auf die Hilfe faschistischer Banden stützen, wird sich daran vermutlich nichts ändern. Jetzt hoffen die neuen Machthaber auf Hilfe aus dem Westen. Nach Angaben der »Übergangsregierung« braucht der Staat dringend 35 Milliarden US-Dollar (25,5 Milliarden Euro). Angeblich seien in den kommenden zwölf Monaten 15 Milliarden Dollar nötig, allein um fällige Kredite zurückzuzahlen, den Großteil davon an westliche Gläubiger, etwa drei Milliarden an Rußland. In der EU und den USA wird inzwischen über eine Umstrukturierung der Schulden nachgedacht. Daran will sich Agenturmeldungen zufolge Moskau nicht beteiligen. Sollte also die Ukraine tatsächlich frisches Geld vom Westen bekommen – wie z.B. die eine Milliarde Dollar, die US-Außenminister John Kerry am Mittwoch Kiew in Aussicht gestellt hat – müßten die ersten Tranchen zur Schuldentilgung an Rußland gezahlt werden, wenn ein Staatsbankrott verhindert werden soll. Juri Kolobow, seit einigen Tagen ukrainischer Finanzminister, hat eine internationale »Geberkonferenz« unter Beteiligung der EU, der USA und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorgeschlagen. Ob diese die riesigen Finanzlöcher des zerbrechenden Staates stopfen kann, darf bezweifelt werden. Auch wird durch die Verschlechterung der Handelsbeziehungen zu Rußland die Lage nicht besser. 2012 importierte die Ukraine für umgerechnet knapp 18 Milliarden Dollar Brennstoffe wie Öl und Gas. Zahlen mußte sie dafür Preise weit unter Weltmarktkonditionen, weil Moskau Sonderkonditionen und großzügige Kredite eingeräumt hatte. Diese werden der in Kiew an die Macht gekommenen Regierung nicht weiter gewährt. Letztere hat daraufhin – angeblich um Druck auf den Lieferanten in Moskau auszuüben – den Bezug von russischem Gas um 80 Prozent gedrosselt. Wegen weiterer Meinungsverschiedenheiten hat Rußland am Mittwoch seinerseits die Lieferungen von Rohöl an die Raffinerie im ukrainischen Odessa eingestellt. Woher die Ukraine Öl und Gas beziehen soll und wie sie es zu Weltmarktpreisen bezahlen will, steht derweil in den Sternen. Zugleich denkt Rußland, der bei weitem größte Handelspartner der Ukraine, laut Nachrichtenagentur Interfax vom Montag darüber nach, die Lebensmittelimporte aus der Ukraine wegen »veterinären und phytosanitären Risiken« drastisch zu kürzen. Davon wäre hauptsächlich die stark landwirtschaftlich geprägte, russenfeindliche Westregion der Ukraine betroffen. Insgesamt importierte der große Nachbar 2012 landwirtschaftliche Produkte für 1,9 Milliarden Dollar aus der Ukraine. Ein Wegfall auch nur eines Teils dieser Exporte dürfte einen wie immer gearteten IWF-Rettungsplan erheblich erschweren. Eine Alternative zu möglichen IWF-Hilfen, also massive, bilaterale Finanzhilfen durch die USA und EU-Mitgliedsländer, scheint durch die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise weitgehend verbaut. Das Hauptaugenmerk der EU-Kommission in Brüssel gilt trotz aller geostrategischer Spielchen nicht der Sicherung und Steigerung des wirtschaftlichen Wohlergehens der Ukraine und seiner Bevölkerung. Aber bereits im Vorfeld einer festeren Einbindung des Landes mit seinen 47 Millionen Einwohnern in die westlichen Strukturen, wären sehr viele Milliarden Euro nötig. Die haben weder die EU noch Berlin übrig. Angesichts extrem hoher Arbeitslosigkeit in der EU und der daraus resultierenden Vertiefung der sozialen und politischen Spannungen in vielen Mitgliedsländern, gilt auch Berlins absolute Priorität dem kostspieligen Zusammenhalt der Euro-Zone. Denn davon hängt die Zukunft der exportorientierten deutschen Wirtschaft ab, nicht von einem neuen, nicht allzu kaufkräftigen Markt im Osten. Das bedeutet, EU-Kommission und Bundesregierung haben wenig Interesse daran, Kiew zu einer für sie teuren, engeren wirtschaftlichen Integration mit dem Westen zu ermutigen. Dies ginge zudem auf Kosten der bisher guten wirtschaftlichen Beziehungen mit Rußland. Nicht zuletzt deshalb haben Brüssel und Washington das Finanzierungsproblem an den IWF verwiesen. Der wiederum würde im Gegenzug einschneidende »Wirtschaftsreformen«, inklusive eines sozialen Kahlschlags, verlangen. Die von der Janukowitsch-Regierung angestoßenen Renten- und realen Einkommenssteigerungen für die Masse der Bevölkerung in den letzten Jahren, sollen wieder rückgängig gemacht werden. Vor allem in der Ost- und Süd-Ukraine könnte das den Widerstandswillen gegen die als illegal empfundene Regierung in Kiew weiter festigen.

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