Mittwoch, 16. Juli 2014

Boycott Apartheid reloaded

Wie die südafrikanische Linke in Israel die Apartheid wiederentdeckt Vor einem Jahr sorgte Sigmar Gabriel für Aufregung, als er nach einem Besuch in Hebron auf seiner Facebookseite postete: »Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.« Ohne Israel beim Namen zu nennen wussten er und die bundesdeutsche Öffentlichkeit, wen der SPD-Vorsitzende der Apartheid bezichtigte. Einen Tag später ruderte er zurück, entschuldigte sich für eventuelle Missverständnisse und betonte, dass »dieser Vergleich Israel gegenüber mehr als ungerecht und dem alten Südafrika gegenüber verharmlosend wäre«.?01 Gabriels Aussage wäre in Südafrika selbst wohl ohne weitere Aufregung zur Kenntnis genommen worden, da gerade dort der Vergleich zwischen Israel und dem südafrikanischen Apartheidstaat, vor allem bei ehemaligen Anti-Apartheidsaktivist_innen und Linken, inzwischen Konsens zu sein scheint. Diese Gleichsetzung wollen wir im Folgenden genauer betrachten. Dabei wollen wir der Frage nachgehen, wie es dazu kommt, dass sie auch von der südafrikanischen Linken übernommen wird, obwohl dadurch die eigene leidvolle Vergangenheit relativiert und ihrer Singularität beraubt wird. Als Basis unserer Analyse dienen zwei Publikationen – die linksradikale Zeitschrift Amandla! und die Zeitung des Gewerkschaftsdachverbandes Congress of South African Trade Unions (COSATU) The Shopsteward –, die für die südafrikanische Linke zentral sind, ohne diese jedoch in Gänze zu repräsentieren. Interessanterweise wird in diesen Zeitschriften die Analogie zwischen dem ehemaligen südafrikanischen Apartheidstaat und dem heutigen Israel gerade durch Bezüge auf die Erfahrungen von Südafrikaner_innen während der Apartheid begründet. Der 1985 gegründete COSATU, dem 21 Mitgliedsgewerkschaften assoziiert sind und der etwa 1,8 Millionen Mitglieder repräsentiert, ist Teil der Dreier-Regierungsallianz. Seit den ersten demokratischen Wahlen 1994 stellt er mit der South African Communist Party (SACP) und dem African National Congress (ANC) eine gemeinsame Kandidat_innenlisten für Wahlen auf und ist auch in der alltäglichen politischen Arbeit eng mit diesen Parteien verbunden. In den letzten 20 Jahren hat sich das Verhältnis der Dreierallianz zu radikalen linken Bewegungen transformiert. In den frühen neunziger Jahren hielten sich radikalere linke Gruppierungen eher im Hintergrund und stärkten der ANC-Regierung den Rücken. Sie traten erst in den späten Neunzigern wieder deutlicher in Erscheinung, nachdem die Unzufriedenheit mit dem ANC zugenommen hatte. Gründe für diese Unzufriedenheit waren u. a. die Privatisierungsmaßnahmen der Regierung, eine nach wie vor unzureichenden Versorgung mit Wohnraum, Wasser und Elektrizität in den Townships sowie diverser Räumungen von informellen Siedlungen, ohne dass Ersatz geboten wurde. Diese Probleme wurden auch von der kommunistischen Partei und von COSATU nicht angegangen. Da sie außerdem mit der zunehmend neoliberal agierenden Regierung zusammen arbeiteten, wurden auch sie von der radikaleren Linken zunehmend als Teil des Problems betrachtet. Trotzdem stellt sich COSATU gern als linker Flügel der Regierungsallianz dar und wechselt dafür von Regierungssolidarität zu Regierungskritik. Dabei stimmen die Gewerkschafter_ innen klassenkämpferische Töne an. Mit der scharfen Kritik an der Politik des ANC soll die eigene Basis besänftigt werden, die sich – wie kürzlich im Minensektor geschehen – zunehmend in Arbeitnehmer_innenvertretungen außerhalb des Dachverbandes organisiert. Zentrales Kommunikationsorgan von COSATU ist der ca. viermal pro Jahr erscheinende The Shopsteward. Seit der ersten Ausgabe 1992 wird sich ausführlich der internationalen Solidarität sowie dem weltweiten antiimperialistischen und antikolonialen Kampf gewidmet. In den neunziger Jahren konzentrierte sich die Berichterstattung in erster Linie auf Fragen der Globalisierung und des Klassenkampfes in anderen afrikanischen Staaten, während seit dem Jahr 2000 die »palästinensische Sache« zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt. Weiten Teilen des linksradikalen, antikapitalistischen Spektrums in Südafrika dient die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift Amandla!?02 als Austausch– und Publikationsorgan. Amandla! will im gesamten südlichen Afrika Debatten um diverse linksradikale Perspektiven anregen und über lokale sowie internationale politische, ökonomische und soziale Kämpfe informieren. Ihr Fokus liegt dabei insbesondere auf der Arbeiter_innenbewegung?03 und auf kleineren politischen Gruppierungen. Die Bandbreite an Themen, die in der Amandla! angesprochen werden, ist relativ umfassend und reicht von spezifisch Süd- und Sub-Sahara-afrikanischen Diskussionen zu sozialem Wandel über Debatten zur politischen Ökonomie, Klimawandel, Gesundheitsversorgung bis hin zu Middle East, mit einer eigenen Rubrik zu Palestine in der Online-Version. Amandla! nimmt in der südafrikanischen Diskussion eine ausgesprochen ANC-kritische, aber nicht unsolidarische Haltung ein. Nach wie vor besteht eine gewisse Verbundenheit mit dem linken Flügel des ANC, wobei insbesondere alle im Kampf gegen das Apartheid-Regime beteiligten ANC-Mitglieder hoch geschätzt werden. Das politische Bewusstsein innerhalb der südafrikanischen Linken speist sich bis heute aus dem gemeinsamen Kampf gegen die Apartheid. Dies zeigt sich auch an der Positionierung zu Israel, das vielen südafrikanischen Linken als der Ort gilt, an dem Apartheid in der Gegenwart bekämpft werden muss. Die Solidarität mit Palästina wird für südafrikanische Linke damit zur Pflicht.?04 Solidarität mit der »Zwillingsschwester«! Während in den Jahren nach der Ablösung der Apartheid 1994 der Nahostkonflikt auf Grund innenpolitischer Konsolidierungen keine größere Rolle in der südafrikanischen Linken spielte, änderte sich dies durch die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001, die im südafrikanischen Durban stattfand. Ziel der Zusammenkunft war es aktuelle Formen des Rassismus und Strategien zu dessen Überwindung zu diskutieren. Überschattet wurde die Konferenz allerdings von antisemitischen Vorfällen, was dazu führte, dass die israelische und die US-amerikanische Delegation frühzeitig abreisten. In der Abschlussresolution des parallel stattfindenden NGO-Gipfels mit ca. 10.000 Teilnehmer_innen wurde Israel zum kolonialen Apartheidstaat erklärt, der sich des Völkermordes und Genozids schuldig mache. Zudem wurde zu Sanktionen und Embargos gegen Israel aufgerufen, die durch die Gründung der Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) 2005 weltweit Anhänger_innen in Gewerkschaften, Studierendenorganisationen und einigen NGOs fanden.?05 Symbolträchtig ging damit aus Durban sieben Jahre nach der Überwindung der Apartheid die Botschaft in die Welt, dass das Apartheidregime des 21. Jahrhunderts nicht mehr Südafrika, sondern Israel sei. Seitdem hat sich das Interesse an Israel/Palästina enorm gesteigert und ist ein wichtiger Bestandteil linker südafrikanischer Politik geworden. Seit 2008 findet jährlich die Israeli Apartheid Week (IAW) in mehreren südafrikanischen Städten statt, bei der mit politischen und kulturellen Veranstaltungen für die BDS-Kampagne geworben wird. Auch im Zuge der andauernden Diskussionen um einen akademischen Boykott Israels seitens der Universität Johannesburg, dem Streit um die Kennzeichnung von Produkten aus den besetzten Gebieten oder Protesten gegen Kulturveranstaltungen, die von der israelischen Botschaft unterstützt werden, wird in der Öffentlichkeit kontinuierlich über Israel und die Boykottbewegung berichtet. Auch wenn die »Erfolge« dieser Bewegung bisher eher bescheiden sind, ist es ihr doch gelungen, eine zunehmende Normalisierung der Gleichsetzung Israels mit dem südafrikanischen Apartheidregime zu etablieren. Damit wurde erreicht, was einer der prominentesten Vertreter des südafrikanischen Apartheidregimes vor 50 Jahren angestoßen hatte. 1961 sprach der damalige südafrikanische Premierminister Hendrik Verwoerd mit den Worten »Israel, wie Südafrika, ist ein Apartheidstaat«?06 aus, was heute von der Mehrheit der Linken vertreten wird. Hintergrund der Aussage war eine auch von Israel unterstützte Abstimmung vor den Vereinten Nationen, die die Apartheid in Südafrika anprangerte. Sehr vereinzelt verweisen Protagonist_innen der südafrikanischen Linken wie der Kommunist und ehemalige Geheimdienstchef Ronnie Kasrils auf die historischen Wurzeln des Vergleichs hin.?07 In der Regel sind die historischen Wurzeln dieses Vergleichs jedoch unbekannt oder werden ausgeblendet, was zum auffälligen Fehlen historisch-politischer Kontexte in der Zeichnung des Vergleichs passt. In der Diskussion dominieren Schilderungen und Argumentationen, die die Apartheid-Analogie auf der alltäglichen Ebene der Lebensbedingungen verdeutlichen sollen. So dokumentiert beispielsweise der von verschiedenen Menschenrechtsgruppen, Palästina-Solidaritätsgruppen und Gewerkschaften unterstützte Film Roadmap to Apartheid detailliert den Alltag in den besetzten Gebieten und zieht Parallelen zu den Lebensbedingungen in Apartheid-Südafrika.?08 Als Äquivalent der Trennung der konstruierten Bevölkerungsgruppen in Südafrika durch Bauwerke wie Autobahnen oder Schienentrassen wird der israelische Schutzzaun (auch Apartheidmauer genannt) angeführt. Die Wasserknappheit in der Westbank wird mit der Wasserpolitik in Südafrika verglichen und die Passkontrollen an den Checkpoints wecken bei den Filmemacher_innen Erinnerungen an die Zeiten in Südafrika, als sich »black africans« und »coloureds«?09 nur mit einer speziellen Genehmigung in Innenstadtbereichen aufhalten durften. Immer wieder werden im Film auf phänomenologischer Ebene Ähnlichkeiten zwischen dem Apartheid-Südafrika und Israel herausgestellt, die durch Interviews mit den damals und heute Betroffenen emotionalisiert und angeprangert werden. Allerdings wartet man während der 90-minütigen Dokumentation vergeblich auf die Einbettung der gezeigten Phänomene in den jeweiligen Kontext. In Südafrika sollte durch die rassistische Separation ein permanenter Vorteil für die weiße Minderheit geschafft werden, dessen Kehrseite die systematische Unterdrückung und Ausgrenzung der »Coloureds« und Schwarzen war. Das Apartheidregime diente also zuallererst der Sicherung der weißen Vorherrschaft. In Israel geht es hingegen nicht um eine systematische Unterdrückung auf Grund von »race«, sondern um eine Form von Sicherheitspolitik, auch wenn diese in der Praxis entlang von Kriterien wie Herkunft verläuft und teilweise zu einer Segregation der alltäglichen Lebenswelten führt. Dass diese Sicherheitspolitik aufgrund der Bedrohungslage Israels, der antisemitischen Vernichtungsphantasien mancher Anrainer wie bspw. der Hamas und des permanenten – wenn auch meist extensiven – Kriegszustandes in der Region verstanden werden muss, berücksichtigt der Film nicht. Ein weiteres Beispiel für das Ausklammern des politisch-historischen Kontextes ist die Übertragung des Begriffs der »Bantustanierung« auf die Situation in den besetzten Gebieten. Auch hier wird durch die Betonung von Parallelen auf phänomenologischer Ebene ein Argument hervorgebracht, um Israel mit dem südafrikanischen Apartheidregime auf eine Stufe stellen zu können, ohne jedoch die strukturellen Unterschiede zu benennen. »Bantustans« oder »Homelands« wurden Regionen in Südafrika genannt, die formell unabhängig waren und von »Black Africans« bewohnt und verwaltet wurden. Sie dienten der südafrikanischen Regierung als Mittel, die Trennung der rassisierten Bevölkerungsgruppen zu festigen und wurden mit eigenen Flaggen, Hymnen etc. ausgestattet. International waren diese »Bantustans« nie anerkannt. Ein Grund unter anderen war, dass sie als Inseln im südafrikanischen Territorium ökonomisch nicht überlebensfähig gewesen wären. Die Amandla!-Autorin Carol Martin findet dennoch in ihrem Aufsatz »Solidarity for beginners. The Palestine/Israel conflict«, genau solche »Bantustans« in der Westbank wieder: »Die Westbank ist heute in eine aus kleinen ›Bantustans‹ bestehende Inselgruppe aufgeteilt, in der die Palästinenser_innen von einer fremden Militärmacht regiert werden und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Zudem werden sie ihres Landes und ihrer Brunnen beraubt, um noch mehr jüdische Siedlungen zu bauen. Das erfüllt den von internationalem Recht geächteten Tatbestand institutionalisierter Apartheid [...].«10 Diese hier behauptete Anschlussfähigkeit an die Erfahrung der ehemaligen Bewohner_innen südafrikanischer »Bantustans« ist charakteristisch für die Unterstützung der Analogiebildung des südafrikanischen Apartheidregimes mit Israel. Geschickt reiht die Autorin verschiedene Schlagworte, die auf vermeintliche Analogien verweisen, aneinander, ohne auf deren jeweiligen gesellschaftlichen Kontext einzugehen: Während das einzige Ziel der Bildung von »Bantustans« war, eine schwarze Bevölkerungsmehrheit in Südafrika zu verhindern, würde ein palästinensischer Staat international unterstützt und anerkannt und hätte durch ein weitestgehend zusammenhängendes Territorium und Außengrenzen zu befreundeten Staaten durchaus positive, von Israel unabhängige Entwicklungsmöglichkeiten. Eine weitere vermeintliche Gemeinsamkeit ist der gemeinsame Widerstand gegen eine »weiße Kolonialmacht«, die man berechtigterweise im südafrikanischen Apartheidregime sieht, aber auch in Israel wiederzuerkennen glaubt. Diese Zuschreibung ignoriert einerseits die Positionierung von Jüdinnen und Juden innerhalb der Kategorie »weiß« und andererseits die Tatsache, dass Jüdisch-Sein keineswegs an eine weiße Hautfarbe gebunden ist. Hinzu kommt, dass die Staatsgründung Israels eine historische Notwendigkeit auf Grund des grassierenden Vernichtungsantisemitismus war, während die Etablierung des Apartheidregimes in Südafrika aus rassistischen Motiven eine weiße Kolonialmacht etablieren sollte. Solcher Unterschiede bleiben jedoch unberücksichtigt, wenn auf der Grundlage einer vermeintlich geteilten Erfahrung eine widerspruchslose Solidarisierung eingefordert wird: »Wie bereits vorher erwähnt wurde, wird sich der Charakter Südafrikas an der Frage entscheiden, wie es auf die Situation im Nahen Osten reagiert?–?insbesondere auf die seiner fast identischen Zwillingsschwester Palästina.«11 Die Symbolik der »identischen Zwillingsschwester Palästina« appelliert an die eigenen schmerzhaften Erinnerungen aus Zeiten der südafrikanischen Apartheid, und legt nahe, dass Südafrikaner_innen gerade deshalb solidarisch mit Palästinenser_innen sein müssten. Die Forderung zur uneingeschränkten Solidarität mit der »Zwillingsschwester Palästina« ergeht dabei jedoch nicht nur als persönliche Aufforderung an jede Einzelne und jeden Einzelnen, sondern wird zur Frage über die Charakterbeschaffenheit der Nation stilisiert. Das neue, demokratische Südafrika muss sich daran messen lassen, ob es das Leid der Palästinenser_innen erkennt und seiner Verpflichtung, Apartheid auch außerhalb des eigenen Landes zu bekämpfen, nachkommt. Ähnlich schätzt der Generalsekretär von COSATU die Solidarität mit Palästina für die Gewerkschaften ein, indem er sie zum »entscheidenden Einsatzpunkt für Gewerkschaften in der ganzen Welt« erklärt.12 Indem die Bedeutung des Nahostkonfliktes für Südafrika überhöht wird, wird gleichzeitig ein möglicher gemeinsamer Identifikationspunkt geschaffen, den die Linke dringend braucht. Denn knapp 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid haben sich die Lebensbedingungen für den Großteil der Bevölkerung nicht maßgeblich verbessert. Aufstiegschancen und der Zugang zu Bildung korrelieren nach wie vor mit der Hautfarbe. Die politische Elite gilt als korrupt und gewaltsame Niederschlagungen der Proteste für höhere Löhne oder den Zugang zu Wasser, Strom und Bildung sind keine Ausnahme. Doch anstatt diese virulenten Konflikte um die Beseitigung der Spuren der Apartheid in Südafrika, die nach wie vor tief in die Gesellschaft eingeschrieben sind, offensiv anzugehen, werden diese externalisiert und auf Israel als vermeintlich aktuell existierenden Apartheidstaat projiziert. Dass die Apartheid im Jetzt und in einem anderen Land zu bekämpfen sei, erklärt den überraschenden Umstand, dass sich alle »Beweisführungen« für die Analogiebildung auf Zustände oder Vorkommnisse aus der jüngeren Vergangenheit konzentrieren. Fast nie erfolgt in den israelkritischen Publikationen von Amandla! und The Shopsteward der Verweis auf historische Ereignisse und Parallelen. Gerade hier könnte eine kritische Auseinandersetzung mit der Zusammenarbeit von Israel mit dem südafrikanischen Apartheidregime während der Hochphase der internationalen Boykottbewegung und der brutalen Bekämpfung der Aufstände gegen die Apartheid von 1973 bis 1987 durchaus Zündstoff liefern. Israel lieferte in dieser Zeit neben Technologie auch Waffen an Südafrika und setzte sich damit starker internationaler Kritik aus. Das nahezu gänzliche Fehlen des Verweises auf die siebziger und achtziger Jahre kann als symptomatisch für die ahistorische Analogisierung von Israel mit dem Apartheidregime in Südafrika gelten. Diese wird auch daran deutlich, dass in keinem Artikel auf die Ursache für die Staatsgründung Israels Bezug genommen wird. Damit wird durchgehend der Eindruck vermittelt wird, es gäbe keine existenzgefährdende Bedrohung Israels. Aus dem Blickfeld der Kritik geraten zudem die Nachbarstaaten, deren Untätigkeit und Unwille für die menschenunwürdigen Lebensbedingungen von Palästinenser_innen in den Flüchtlingscamps verantwortlich sind. Die Ausblendung dieser Faktoren und die Konzentration auf die unwidersprochen schlechten Lebensbedingungen in der Westbank und in Gaza führen zu einer weitestgehenden Akzeptanz der Apartheidanalogie in der südafrikanischen Linken. Deutlich gegen diese Gleichsetzung positionierte sich nur Rhoda Kadalie, ehemalige Anti-Apartheid Aktivistin und Leiterin der Kapstädter NGO Impumelelo die innovative Projekte im Bereich sozialer Gerechtigkeit und basisdemokratischer Beteiligung fördert. In ihrem Artikel »Franchising ›Apartheid‹: Why South Africans Push the Analogy« betont sie, dass anders als Apartheid-Südafrika, Israel keine diskriminierenden Gesetze auf Grund von rassisierten Zuschreibungen hat, regierungskritische Zeitungen ungehindert arbeiten können und arabisch eine der offiziellen Landessprachen ist. Im Gegensatz zu den meisten linken Südafrikaner_innen übt sie auch Kritik an Israels Nachbarstaaten und kommt zu dem Schluss: »die Bezeichnung Apartheid trifft eher auf viele der israelischen Nachbarstaaten zu«.?13 Zwar gleichen die seitens der südafrikanischen Linken bemühten Ressentiments gegen Israel denen der Linken in anderen Ländern. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass die Tatsache, dass eben diese Kritik aus Südafrika kommt, die Apartheidanalogie legitimiert und zunehmend salonfähig macht. So sind Aktivist_innen aus Südafrika bei antiisraelischen Anlässen gern gesehene Gäste, die aus erster Hand von Apartheid berichten können. Ein zentrales kritisches Anliegen muss daher sein, die in dem Vergleich angelegte implizite Relativierung der südafrikanischen Apartheid zu benennen, um die Gleichsetzung zu dekonstruieren. Hierbei spielt die Trennung struktureller Gegebenheiten von phänomenologischen Ähnlichkeiten eine zentrale Rolle, ohne jedoch persönliche Erfahrungen negieren zu wollen. Gerade in Südafrika wäre es von größter Bedeutung anzuerkennen, dass der Weg der Emanzipation, die Überwindung der heute noch spürbaren Auswirkungen der Apartheid, nicht mit Antizionismus oder Antisemitismus zu beschreiten ist. ~ Von Rosa Ka und Max Heim. Die Autorin lebt in München. ?Der Autor lebt in Berlin.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen