Mittwoch, 16. Juli 2014

Die Sächsische Demokratie

Heute wollen wieder Neonazis durch Dresden marschieren. Sachsen ist nicht zufällig die braune Hochburg in Deutschland: Hier werden Proteste gegen Neonazis kriminalisiert und linke Pfarrer zu gefährlichen Rädelsführern gemacht, hier werden Grundrechte eingeschränkt und kriminelle Nazi-Truppen zu harmlosen Trottel-Banden erklärt. Kritiker meinen, der Freistaat erfülle daher nur formal die Kriterien einer Demokratie. Tausende Menschen zogen am 13. Februar 2012 auf die Straßen und Plätze der Stadt, um gegen den alljährlichen Neonazi-Fackelaufmarsch zu protestieren und um ihn zu blockieren. Recht erfolgreich. Die Rechtsextremen konnten gerade einmal 1 500 Meter weit marschieren, ein Teilnehmer des »Trauermarsches« klagte nach dem erneuten Desaster in einem bekannten Internetforum, die »Anti-rechts-Mafia aus Antifa und Zivilgesellschaft« habe gewonnen: »Wir haben das letzte große Ereignis verloren, für mich zerschlägt sich gerade eine der letzten Perspektiven. Wie soll es weitergehen? Der Ausblick nur noch Sauf- und Szeneveranstaltungen einer abgeschotteten kleinen Subkultur zu haben, ist zum Kotzen. Das deutsche Volk geht jedes Jahr mehr dem Ende entgegen und der NW [Nationale Widerstand, Anm. d. A.] bewegt sich nur noch, wenn er im Todeskampf zuckt.« Den friedlichen Protesten und Blockaden gegen den Aufzug der rund 1 500 Revisionisten waren aufwändige und intensive Maßnahmen der Staatsanwaltschaft vorausgegangen – gegen mutmaßliche linke Aufrührer und angebliche Straftäter. Die Dresdner Staatsanwaltschaft warf ihnen vermeintliche oder tatsächliche Straftaten sowie andere Vergehen vor und zeigte bei der Verfolgung ein Engagement, das bislang unbekannt war – zumindest was rechtsextreme Verdächtige angeht. So wurden Razzien in mehreren Bundesländern durchgeführt, unter anderem in Sachsen selbst, aber auch in Berlin und Thüringen. In Jena durchsuchten sächsische Polizisten die Räume eines Jugendpfarrers, dem zunächst nach Paragraph 129 vorgeworfen wurde, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Bei dem Einsatz gegen Lothar König im August 2011 in Jena machten die Einsatzkräfte keinen Halt vor den besonderen Aufgaben des Pfarrers, trotz drohender Verletzung des Seelsorgegeheimnisses drangen 34 Polizisten auf Initiative der Dresdner Staatsanwaltschaft unter anderem in seine Dienstwohnung ein. Ein 36-jähriger Familienvater, bislang nicht vorbestraft, wurde wegen der Teilnahme an den Protesten im Jahr 2011 zu 22 Monaten Haft verurteilt – ohne Bewährung. Gefängnisstrafen, Paragraph 129 und Razzien in einem anderen Bundesland, das klingt nach schwersten Straftaten – auch im Falle des Pfarrers. Und die Maßnahmen verfehlten bei einigen Multiplikatoren nicht ihre Wirkung. »Wie gefährlich ist dieser Pfarrer wirklich?«, fragte die Bild. Kurz nach der Razzia ließen die sächsischen Behörden den Vorwurf nach Paragraph 129 allerdings wieder fallen, der die Durchsuchung von Königs Räumen erst rechtlich ermöglicht hatte, da eine solche Maßnahme nur bei schweren Straftaten zulässig ist. Kein Einzelfall, viele Anwälte bezeichnen den Paragraph 129 als »Schnüffelparagraphen«, da er oft in Ermittlungsverfahren strapaziert und als rechtlicher Rahmen für Razzien benutzt wird. Die Vorwürfe werden anschließend oft fallengelassen. Link: Prozesskostenhilfe für Lothar König Pfarrer König war bereits in der DDR mit der Staatsmacht in Konflikt geraten, das unverhältnismäßige und rechtlich fragwürdige Vorgehen der sächsischen Behörden dürfte bei vielen Betroffenen das Vertrauen in den Rechtsstaat nachhaltig ge- oder zerstört haben. »Hier ist der Lothar König«, so stellte sich der Pfarrer der Jungen Gemeinde Stadtmitte aus Jena in einer Rede vor, »der mit der Hausdurchsuchung und der kriminellen Vereinigung, Paragraph 129. Jetzt aber bin ich nur noch angeklagt wegen schwerem aufwieglerischen Landfriedensbruch, Paragraph 125. Wobei, 125 ist auch nicht zu verachten, der geht immerhin bis zehn Jahre. Eigentlich ist mir das zu viel, weil, na ja, in DDR-Zeiten haben wir bis maximal drei Jahren gerechnet. Das kann man absitzen, dachten wir, damals in der DDR.« Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft steht nicht nur wegen der Verhältnismäßigkeit in Frage, auch die Rechtmäßigkeit ist umstritten. So gelten friedliche Blockaden nicht zwingend als Nötigung. Zudem hatte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages die sächsischen Ermittlungen in einem Gutachten aus einem weiteren Grund angezweifelt. Die Strafverfolgung der Blockadeteilnehmer sei rechtswidrig, weil das sächsische Versammlungsgesetz zwischen Januar 2010 und April 2011 gar nicht gültig war. Dieses Versammlungsgesetz zeigte die Hilflosigkeit, mit der die Landesregierung gedachte, mit dem unerwünschten Gedenken der Neonazis und den Protesten dagegen umzugehen: einfach alles verbieten. Demonstrationen an Orten von historisch herausragender Bedeutung könnten demnach in bestimmten Fällen einfach untersagt werden. Konkret genannt wurden im Gesetz die Frauenkirche und Teile der Altstadt von Dresden am Jahrestag der Zerstörung der Stadt sowie das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Hochburg der Extremismus-Doktrin Die Herausforderungen durch die Neonazi-Aufmärsche sowie die Proteste dagegen, welche offenkundig als mindestens genauso großes Problem angesehen wurden, sollten also durch einen starken Staat und die Einschränkung von Grundrechten gelöst werden. Zudem warfen CDU und FDP einmal mehr, wie es in Sachsen schon seit Jahren gehandhabt wird, alle »Extremisten« in einen Topf. Der CDU-Abgeordnete Martin Modschiedler sagte, das neue Versammlungsgesetz schütze die Menschenwürde der Opfer nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft. Wo und wann in Sachsen die Würde der Opfer des Kommunismus überhaupt verletzt wurde, blieb unklar. Klar ist hingegen: In Sachsen kann die Regierung offenbar keinen Satz über NS-Opfer bilden, ohne auch die Opfer des Kommunismus zu nennen. Gleiches gilt für das Thema Neonazis. Geht es beispielsweise um die NPD, wird schnell ein Halbsatz nachgeschoben, wonach auch die Linkspartei und die Linksextremisten generell nicht unterschätzt werden dürften. Immer wieder sorgte das rechtlich und politisch fragwürdige Vorgehen der staatlichen Stellen des Freistaats im Zusammenhang mit den Protesten gegen Neonazis in Dresden bundesweit für Aufsehen. Beispielsweise eine Razzia mit Dutzenden vermummten Beamten in einem Parteibüro der Linken, welche später als rechtswidrig eingestuft wurde. Oder die Funkzellenauswertung, welche die Polizei in Dresden bei den Anti-Nazi-Protesten benutzte, um Millionen Datensätze zu sammeln – von unbeteiligten Anwohnern, von Politikern, Rechtsanwälten, Journalisten und Bürgern, die lediglich ihr Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ausübten. Bei einer Funkzellenauswertung müssen die Telekommunikationsbetreiber sämtliche Verkehrsdaten an die Ermittler liefern. Es handelt sich um alle Daten, die im Rahmen eines bestimmten Zeitraums innerhalb einer oder mehrerer sogenannter Funkzellen angefallen waren. Die Polizei wertete diese aus – auch inhaltlich, wie die taz enthüllte. Kritik an dem Vorgehen wies Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) zurück und warnte vielmehr, der Datenschutz dürfe nicht zum Täterschutz werden. So werden Tausende Bürger, die grundlos überwacht werden, zu potentiellen Tätern. Gleichzeitig zogen sich die Ermittlungen gegen rechtsextreme Straftäter teilweise über Jahre hin, oder übergeordnete Instanzen ließen sogar Urteile aus Sachsen fallen, da diese fragwürdig seien. So beispielsweise im Fall des Sturm 34, einer Neonazi-Schlägerbande, die einen ganzen Landstrich über Monate terrorisierte. Die Neonazi-Kameradschaft war 2006 in Mittweida gegründet worden. Mit ihrem Namen bezog sie sich auf eine während der Zeit des Nationalsozialismus in der Region stationierte SA-Brigade. Die Organisation hatte sich laut Innenministerium das Ziel gesetzt, eine »national befreite Zone« zu schaffen. Ihre Übergriffe richteten sich vor allem gegen Andersdenkende wie Menschen aus dem linken Spektrum und Ausländer. Bei zahlreichen Überfällen waren etliche Opfer zum Teil schwerverletzt worden. Laut dem sächsischen Innenministerium zählten rund 50 Mitglieder zum harten Kern der Gruppe. Hinzu kamen etwa 100 Sympathisanten. Sachsens damaliger Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) verbot den Sturm 34 im April 2007. Neonazis schützen sich durch Dummheit Mehrmals standen Anführer oder Mitglieder der Schlägertruppe vor Gericht. Für Aufsehen sorgte ein Prozess, in dem es unter anderem um die Frage ging, ob es sich bei der Kameradschaft um eine kriminelle Vereinigung handelte. Die verneinte das sächsische Gericht. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob im Dezember 2009 ein Urteil des Landgerichts Dresden vom August 2008 auf, das in der Gruppierung allenfalls eine Bande gesehen haben wollte. Ein Urteil, welches für Erstaunen sorgte. Zur Begründung hatte der Richter angegeben, den Angeklagten fehle es »überwiegend am intellektuellen Inventar«. Neonazis schützen sich also demnach durch Dummheit beziehungsweise durch ihre fehlende Fähigkeit zur normalen Konfliktlösung vor einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Verbale Auseinandersetzungen kannten die jungen Männer wohl kaum, die im Mai und Juni 2006 mehrere brutale Überfälle in der Region inszenierten, so der Richter weiter. Eine wichtige Erkenntnis im Zusammenhang mit dem NSU: Neonazis werden in der Öffentlichkeit als oftmals wenig intelligent dargestellt und wahrgenommen – daher wird die Bedrohung auch nicht so ernst eingestuft. Und: Es wird den Neonazis schlicht nicht zugetraut, sich klandestin zu organisieren. Dazu fehlt der Blick für die zusammenhängenden Strukturen, das braune Netz wird nicht erkannt, weil Aktivitäten und Überfälle als Einzelfälle abgetan werden. Wie wenig die Bedrohung durch kriminelle Neonazi-Truppen ernst genommen wurde, zeigt beispielhaft der Fall Sturm 34 in Sachsen: Die Bezugnahme seiner Mitglieder auf nationalsozialistische Ideen zeige einen tiefen Rassismus, stellte der Richter immerhin fest. Es sei »die passende Ideologie für Leute, die sich gern prügeln«. Es habe allerdings keinen für alle Mitglieder »verbindlichen Gruppenwillen« gegeben. Aber: Ihnen sei es um Einschüchterung, um das Schaffen einer »national befreiten Zone« gegangen, was nun doch irgendwie entfernt wie ein gemeinsames Ziel klingt. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs lag es hingegen nahe, in der Kameradschaft eine kriminelle Vereinigung zu sehen. Um es zusammenzufassen: Ein neonazistischer Schlägertrupp, der über Jahre eine Region terrorisierte, mehrere Überfälle mit Schwerverletzten verübte, sich einen eigenen Namen zulegte und eine »national befreite Zone« schaffen wollte, wurde in Sachsen nicht als kriminelle Vereinigung angesehen, aber ein Jugendpfarrer, der friedlich gegen Neonazis demonstriert wird hingegen zum Kopf einer solchen Vereinigung erklärt. Neonazis seien schlicht zu dumm, um eine kriminelle Vereinigung zu gründen, linke Rädelsführer wiederum gingen so geschickt vor, dass sie andere zum Steinewerfen animieren, um sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen. Formal die Kriterien einer Demokratie erfüllt Die sächsische Regierung hat alles versucht, diese neue Protestkultur gegen die Neonazis zu schwächen. Der Landtagsabgeordnete der Grünen Miro Jennerjahn meint daher, es sei angemessen, von einer Sächsischen Demokratie zu sprechen. Der Freistaat erfülle zwar formal die Kriterien einer Demokratie, jedoch werde alles misstrauisch beäugt, was eine Demokratie mit Leben fülle, kritisierte der Obmann der Grünen im NSU-Untersuchungsausschuss. Konkret bezieht er sich auf das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern – »zumindest, wenn es einen politischen Anspruch« habe. »Die sächsische Halbdemokratie «, so Jennerjahn weiter, »wie sie sich in den letzten 20 Jahren unter starker CDU-Dominanz entwickelt hat, ist nach wie vor geprägt von Autoritarismus, jedwede Kritik an konkretem staatlichen Handeln wird als potentiell antidemokratisch gewertet.« Die CDU habe sich in Sachsen de facto zu einer Staatspartei entwickelt, die den Freistaat gewissermaßen als ihren Privatbesitz betrachtet, meint Jennerjahn. »Dies hat dazu geführt, dass die individuellen Grundrechte im staatlichen Handeln oft nur eine untergeordnete Rolle spielen, wie etwa das massenhafte Ausspähen von Handydaten im Umfeld der Proteste gegen den Neonazi-Aufmarsch gezeigt hat. Im Windschatten dieses weitgehend autoritären Systems hat sich in Sachsen eine massive rechtsextreme Szene entwickelt« – und diese Bewegung war Voraussetzung dafür, dass sich drei Rechtsterroristen über Jahre in dem Freistaat einrichten konnten.

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