Mittwoch, 16. Juli 2014

Karstadt - eine Heuschreckengeschichte wie aus dem Lehrbuch

15.07.14 - Der 2010 als "Karstadt-Retter" und "Kapitalist mit Herz" groß bejubelte und von der damaligen Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen hochgepuschte Finanz-Jongleur Nicolas Berggruen vollzieht derzeit das Ende einer Heuschrecken-Lehrbuch-Geschichte: Das Blaue vom Himmel versprechen, die Belegschaft auspressen, den Konzern zerschlagen, sich mit der Beute davonmachen! Eine "harte Sanierung" sei notwendig, um "das Kerngeschäft" zu erhalten, so Aufsichtsrats-Chef Stephan Fanderl, der wohl bald die Zügel in der Geschäftsleitung in der Hand haben wird. Mindestens jeder Vierte der heute noch 17.000 Beschäftigten soll seinen Arbeitsplatz verlieren. Mit "Einschnitten" ist auch in der Hauptverwaltung in Essen und in der Logistik zu rechnen. Arno Peukes, Fachbereichsleiter bei ver.di für den Einzelhandel, dazu: "Es ist eine Riesen-Sauerei, dass Berggruen jedes Jahr Millionen steuerfrei auf die Seite schafft, während die Mitarbeiter um ihre Jobs zittern müssen." Berggruen saugt seit 2010 Jahr für Jahr 10 Millionen Euro allein über die Namensrechte von Karstadt ab, die er für lächerliche 5 Millionen Euro erworben hatte. Diese Millionen fließen über Umwege geschickt am deutschen Fiskus vorbei auf die British Virgin Islands, wo im Ausland erwirtschaftete Gewinne steuerfrei sind. Vor wenigen Tagen erst hatte nach nur wenigen Monaten Amtszeit die Karstadt-Chefin Eva-Lotta Sjöstedt ihren Job hingeschmissen. Die frühere IKEA-Managerin versuchte offenbar mehr Akzente der Klassenzusammenarbeit zu setzen. Das wurde von Berggruen und Fanderl nicht akzeptiert. Nur einen Euro zahlte Berggruen 2010 - als nicht persönlich haftender Investor - für Karstadt, weil er versprach, Karstadt werde weiter existieren, ohne einen Arbeitsplatz zu vernichten. "Heute ist ein Tag der Freude für die Mitarbeiter", verkündete Ursula von der Leyen (CDU) als damalige Arbeitsministerin seinerzeit. Anschließend gab Berggruen Karstadt einen kurzfristigen Kredit von 65 Millionen Euro, dessen Raten seitdem von den Beschäftigten erwirtschaftet werden müssen. Tatsächlich investierte er nur diesen einzigen Euro. Schon kurze Zeit später wurden die Beschäftigte schamlos ausgepresst und erpresst. 8.000 der damals 25.000 Arbeitsplätze wurden bis heute "abgebaut" – durch Aufhebungsverträge, Nicht-Besetzung frei werdender Stellen, Früh-Pensionierung. Den Beschäftigten wurde ein "Sanierungstarifvertrag" aufgedrückt: Sie müssen für zwei Jahre auf einen Teil ihres Gehalts sowie Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld, insgesamt auf ca. 150 Millionen Euro verzichten. Im Mai 2013 stieg Berggruen außerdem aus der Tarifbindung aus und erklärte, die Löhne würden bis 2016 eingefroren. Danach wurden die "Filetstücke" des Konzerns gewinnbringend veräußert. Die Tochter Karstadt-Sport und drei Premiumhäuser übernahm der österreichische Immobilienhai René Benko mit 75,1 Prozent der Anteile. Benko erhöhte sofort die Mieten drastisch. Auch Berggruen mit seinen restlichen 24,9 Prozent machte seinen Reibach damit. Jetzt will Berggruen auch den Rest von Karstadt für "'nen Appel und 'n Ei" loswerden, vorzugsweise an Benko - für einen Euro! Er dagegen steckt zurzeit in der Türkei und den USA - dort wieder sehr öffentlichkeitswirksam als "Umweltfreund" - etliche Millionen in erneuerbare Energien, darunter Windparks und eine Ethanolfabrik. Tatsächlich locken ihn vor allem die Subventionen, die es dafür gibt, so Kenner des Geschäfts. Er sei ein Meister des eiskalten Kalküls. Für die Belegschaften bei Karstadt und im Einzelhandel insgesamt sowie bei den Online-Händlern ist es dagegen dringend nötig, sich auf die eigene Kraft zu besinnen, sich konzern- und branchenweit zusammenzuschließen und den Kampf um ihre Arbeitsplätze gemeinsam zu organisieren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen