Mittwoch, 16. Juli 2014

»Triumph des Willens« (Michael Parmentier)

Es gibt heute kein Gesetz mehr, das den Hexen und Magiern die Ausübung ihrer Fertigkeiten verbietet. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Hexen sind weg vom Zaun. Ihr Bann ist längst gebrochen. Die wenigen Hexen, die es noch gibt, leben einigermaßen friedlich mitten unter uns. Auch die Magier sind nicht mehr, was sie einmal waren. Sie sind, das weiß ja jeder, inzwischen zu bloßen Trickspezialisten heruntergekommen und können deshalb auch nicht mehr gefährlich werden. Ihre Zauberkraft ist erloschen. Anders ist es mit den Propagandafilmen der Nazis. Sie werden in den Kellern staatlicher und halbstaatlicher Archive aufbewahrt und dürfen nicht heraus. Ihre öffentliche Aufführung ist zwar nicht grundsätzlich verboten, aber doch an strenge Auflagen und begleitende Einordnung gebunden. Sie werden für gefährlich gehalten und bleiben deshalb als sogenannte Vorbehaltsfilme mehr oder weniger unter Verschluß. Ihre Verführungskunst soll noch nicht gebrochen, ihre Rhetorik noch wirksam sein. Doch trifft das wirklich zu? Der Propagandafilm von Leni Riefenstahl »Triumph des Willens«, der nicht zu den Vorbehaltsfilmen gehört, dessen öffentliche Aufführung aber trotzdem von dem gegenwärtigen Rechteinhaber, der Bundesrepublik Deutschland, über die bundeseigene Transit-Film GmbH bis heute weitgehend unterbunden wird, scheint jedenfalls den brisanten Nimbus, der ihn umgibt, nicht zu verdienen. Das faschistische Machwerk, das 1937 auf der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille gewann und das ich im Rahmen eines Seminars vor ein paar Tagen gesehen habe, läßt auf den ersten Blick nicht viel von der suggestiven Gefährlichkeit und hypnotischen Verführungskunst erkennen, die ihm nachgesagt wird. Es hält nicht, was sein kommerzielles Aufführungsverbot verspricht. Vieles von dem, was der Film zeigt und wie er es zeigt, wirkt heute einfach albern. Der monotone Wechsel von Großaufnahme und Totale, von Bewegung und erstarrter, viriler Pose, die einfachen Schnitt- und Gegenschnittfolgen, die dauernde Veränderung der Kameraposition und Kameraperspektive (mal von oben, mal von unten), je nachdem wie es gerade nötig war, um den Führer herauszustellen, die Parteimitglieder vereint und entschlossen zu zeigen und dem Betrachter die Identifikation mit beiden zu erleichtern – das alles ist doch sehr durchsichtig. Der Reichsparteitag in Nürnberg erscheint in dem Film heute als die Schmierenkomödie, die er war. Wüßte ich nicht, in welchen historischen Kontext diese monumentale Selbst-inszenierung der Nazis gehört, ich hätte lachen können. Oben der Führer, einem Adler gleich, im Anflug auf Nürnberg, unten die kantig-entschlossenen Minen der leicht nach vorn gebeugten, ziemlich umständlich im Stechschritt daherkommenden SS-Leute, die dauernd wie aufgezogen hochfliegenden Arme der Massen, das Heilsgeschrei von den Rängen, die Penetranz der Symbole – es wirkt inzwischen wirklich alles komisch. Von Dämonie, Zauberei, Verführungskunst jedenfalls kaum eine Spur. Die beste Figur macht noch, man muß es zugeben, am Ende der Adolf Hitler – doch auch er insgesamt ein Schauspieler mit beschränktem Repertoire, auf keinen Fall unwiderstehlich. Dennoch läßt der Film auch heute den Zuschauer noch ahnen, daß der Nationalsozialismus nicht nur etwas Schreckliches, sondern wie Georges Bataille in einem 1933/34 entstandenen Essay schrieb, etwas »schrecklich Faszinierendes« gewesen sein muß. Ich spürte es, als plötzlich während des Horst-Wessel-Liedes mein Fuß anfing mitzuwippen. Der Film appellierte an ein Stück ungelebten Lebens. Er gaukelte die Erlösung vor »von dem Schrecken des Plüschwohnzimmers« (Krakauer) und wollte den Menschen das Gefühl geben, für etwas »Höheres« da zu sein. Er versprach dem in die langweilige und kleinkarierte Enge des Alltags eingepackten Subjekt die Erfüllung seiner verborgenen Sehnsucht nach einer leidenschaftlichen und heroischen Existenz, nach »Sinn«. Der Schwache sollte stark, der Tote lebendig, der Ersetzbare unersetzlich werden, wenn er sich nur der »Bewegung« anschloß und sich dem »Führer«, der »Idee«, der »Sache«, oder was es sonst sein mochte, unterwarf. Je mehr der einzelne gedemütigt und je ausschließlicher er auf eine bloße Funktion als »Rädchen im Getriebe« oder »Hamster im Laufrad« herabgesetzt wurde, desto empfänglicher mußte er werden für die Idee eines anderen, »gefährlichen Lebens«, das ihm, dem Bedeutungslosen, historische Bedeutung, Größe, Intensität und Einzigartigkeit verleihen sollte. »Triumph des Willens« hat diese Empfänglichkeit schamlos ausgenutzt und erfolgreich instrumentalisiert. Mit dem Mythos von der Auserwähltheit, der Reinheit und Überlegenheit des deutschen Volkes, mit dem vorgespiegelten Glück der Gefolgschaft (»Wir harren des Befehls des Führers«), mit klaren Feindbildern und mit einem über alle gesellschaftlichen Widersprüche hinweggleitenden Dauerappell an die Einheit der »Volksgemeinschaft« hat der Film den Sehnsüchten der Massen eine Fassung und eine Richtung gegeben. Daß diese Sehnsüchte mit dem Untergang des Nazireiches nicht erloschen sind und leicht – wenn auch anders – wieder ausgebeutet werden können, das zeigt mir eine Empfehlung, die ich kürzlich auf der Heckscheibe eines protzigen Autos am Rande der Göttinger Innenstadt gelesen habe: »Fly with the eagles or scratch with the chicken.« Das ist schon fast wieder Originalton, die Logik des Entweder-Oder und der Wunsch überlegen zu sein, grundiert von der hämischen Verachtung für die Verlierer. Hier spricht der Hitler in uns. Diesmal allerdings – wie doch der Weltgeist wandert – auf amerikanisch.

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