Samstag, 9. August 2014
Angriffe des IS in Südkurdistan – tausende ÊzîdInnen auf der Flucht
Seit dem 2. August greifen Kämpfer der islamisch-fundamentalistischen Gruppe Islamischer Staat (IS) die
Stadt Şengal (Sinjar) in Südkurdistan/ Nordirak an. Nach zweitägigen Angriffen hatten sie die Stadt und
einige Dörfer im Umland eingenommen. Kurz vor der Einnahme durch die Islamisten zogen sich die
militärischen Einheiten der südkurdischen Autonomieregion, sogenannte Peshmerge, die der
Demokratische Partei Kurdistans (PDK) nahe stehen, aus der Region zurück. Die zurückgelassene
Zivilbevölkerung verteidigte sich selbst gegen den IS oder floh vor den Islamisten ohne Nahrungsmittel
und Wasser in die nahen Berge.
Währenddessen konnten KämpferInnen der Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Westkurdistan/
Nordsyrien (Rojava), die die Grenze zwischen den Staaten Syrien und Irak überquert hatten, um der
Zivilbevölkerung zu Hilfe zu kommen, weite Teile der Region vom IS befreien. Salih Muslim,
Kovorsitzender der westkurdischen Partei der demokratischen Einheit (PYD), betonte, dass nur wenige
Peshmergekräfte den Rückzugsbefehl verweigerten und sich an dieser Befreiungsoffensive beteiligten.
Unterdessen befreite die YPG auch die Grenzregion Rabia zwischen Syrien und Irak, die zuvor unter
Kontrolle des IS geraten war. Kurdische Guerilla-Einheiten der Volksverteidigungskräfte (HPG) setzten
sich vom Kandil-Gebirge aus unmittelbar in Bewegung, um die schnell von der Zivilbevölkerung
zusammengestellten Selbstverteidigungseinheiten in Şengal zu unterstützen.
Die historisch-kulturell bedeutende Region Şengal ist das Hauptsiedlungsgebiet der êzîdischen
Religionsgemeinschaft. Die ÊzîdInnen sind KurdInnen und leben seit Jahrhunderten in Şengal, wo sich
zahlreiche ihrer religiösen und kulturellen Stätten befinden. Der IS hat in jüngster Vergangenheit durch
seine Schreckensherrschaft – insbesondere Massenhinrichtungen und Enthauptungen – Schlagzeilen
gemacht. Gefährdet sind alle, die nicht in das dschihadistisch-salafistische Weltbild der Gruppe passen,
vor allem „Andersgläubige“, andere Ethnien, Frauen generell, politische GegnerInnen. Der êzîdischen
Gemeinschaft droht deshalb, vor allem seit dem Vormarsch des IS in den letzten Monaten, Lebensgefahr.
Daher flohen bereits zu Beginn der Kämpfe um Şengal zehntausende Menschen aus der Region – unter
ihnen auch schiitische TurkmenInnen, die bereits aus ihren Siedlungen vorm IS nach Şengal geflohen
waren. Laut UN-Angaben sind allein aus Şengal ca. 200.000 Menschen ohne Wasser- und
Nahrungsmittelversorgung auf der Flucht. Ihnen droht eine humanitäre Katastrophe. Der Kurdistan
National Kongress (KNK) hat bereits zu Hilfskampagnen für Şengal aufgerufen.
Şengal ist aufgrund seiner êzîdischen Identität nicht nur ein Symbol für die kulturell-religiöse Vielfalt des
Nahen und Mittleren Ostens, sondern für den IS auch ein militär-strategisch wichtiger Ort. Şengal liegt an
der Grenze zwischen Syrien und Irak sowie zwischen dem Zentralirak und der kurdischen
Autonomieregion in Südkurdistan/ Nordirak. Die Kontrolle über diese Region ermöglicht größerer
Angriffe des IS auf die selbstverwalteten und sich selbst verteidigenden Kantone in Rojava/ Nordsyrien –
vor allem den östlichsten Kanton Cizîr, aber auch auf die Autonomieregion Südkurdistan.
Als YXK verurteilen wir nicht nur den IS und seine menschenverachtende Ideologie. Wir verurteilen die
Politik der regionalen Mächte, vor allem der türkischen Regierung, die den IS bis heute unterstützt oder
zumindest von ihrem Staatsgebiet und über die Grenze nach Syrien hinein operieren lässt, sowie die
Monarchien Saudi Arabien und Katar, die jegliche fortschrittliche Entwicklung in der Region sabotieren.
Wir sehen die einzige Möglichkeit, dem IS und seinem Handeln Einhalt zu gebieten, indem sich alle
DemokratInnen und HumanistInnen gegen religiösen Fundamentalismus und menschenverachtende
Ideologien stellen und die fortschrittlichen Bestrebungen der Menschen im Nahen und Mittleren Osten
nach gesellschaftlichem Wandel und Demokratisierung der bestehenden Systeme unterstützen.
YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan, 5. August 2014
Kontakt: info@yxkonline.de, weitere Infos unter: www.yxkonline.de
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