Sonntag, 10. August 2014

Die wahren Ideologen

Sozialismus, Stasi, Experimente! Im Thüringer Wahlkampf greift die CDU immer öfter in die Kramkiste der politischen Auseinandersetzung Auf eines darf man sich offenbar immer noch verlassen: Spätestens in der Endphase eines jeden Wahlkampfes drohen der Untergang des Abendlandes, mindestens aber Sozialismus oder Stasi. In Thüringen weiß sich die unglücklich amtierende und noch unglücklicher koalierende CDU-Ministerpräsidentin nicht mehr anders als damit zu helfen, ihrem Herausforderer Etiketten aus der Kramkiste der politischen Auseinandersetzung anzuheften: von »Ideologen« ist dann die warnende Rede, davon, dass niemand »Experimente« wolle und - offenbar soll das eine hohe Form der Kritik sein - das Wahlprogramm der Linkspartei anno 2014 »zu 80 Prozent ein Plagiat« eines früheren Wahlprogramms der PDS sei. Auweia. Natürlich ist Christine Lieberknecht nicht auf den Gedanken gekommen, dass Letzteres auf die Dauerhaftigkeit ungelöster Probleme in Thüringen zurückzuführen sein könnte, anders gesprochen: Was 2004 an sozialen und kulturellen Veränderungen für nötig befunden wurde, ist es heute immer noch, weil die CDU - erst in Alleinregierung, später mit der SPD - diese nicht angepackt hat. Man muss nicht einmal Anhänger von mehr direkter Demokratie, mehr sozialer Gerechtigkeit, einer Bildungsreform, einer starken kommunalen Selbstverwaltung, von Kinderfreundlichkeit und anderem sein, um in dem Festhalten an politischen Zielen eben keinen Skandal zu sehen, sondern zum Beispiel Verlässlichkeit. Lieberknechts Hinweis, die Thüringer wollten keine Experimente und eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD sei die »wahrscheinlichste Option« wirft die Frage auf, ob die CDU-Landesmutter wirklich glaubt, dass eine Regierung furchtbar beliebt ist, die vor allem durch Streit und Gehaltsaffären auf sich aufmerksam gemacht hat. Nur die Hälfte der Thüringer wollte im Juli in einer Umfrage Lieberknechts Kabinett gute Noten geben, nicht einmal die Hälfte wünschen sich, dass die CDU auch die kommende Landesregierung anführt. Wirklich weit zurück liegt Rot-Rot, das nach jüngsten Zahlen Aussicht auf eine eigene Mehrheit hätte, nicht hinter Schwarz-Rot zurück. Soweit der demoskopische Fingerzeig. Indem Lieberknecht und andere nun dagegen immer öfter das Gespenst des Sozialismus an die Wand malen, erweisen sie sich als die wahren »Ideologen« - als Propagandisten eines »falschen Bewusstseins«, als Produzenten einer Vorstellung, welche die eigentlichen Machtverhältnisse verschleiern soll. In diesem Fall: Ohnmachtsverhältnisse. Denn von dieser schwarz-roten Landesregierung sind weder große landespolitische Würfe überliefert noch ist bei Fortsetzung etwas in dieser Richtung zu erwarten. Thüringen hätte aber mindestens ein bisschen Veränderung nötig. Darüber wird Frau Lieberknecht mit keiner Rote-Socken-Kampagne hinwegtäuschen können.

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