Freitag, 8. August 2014

Feindbild Parteilinke

»Antisemitismusstreit« in der Linkspartei vor Neuauflage. »Reformer« nutzen Sommerloch für Angriffe auf linken Flügel Von Dirk Bredow Quelle: jungeWelt vom 05.08.2014 Das Gros der gegen die Linkspartei gerichteten Kampagnen und Diffamierungen stammt aus ihr selbst. Exponenten des sogenannten Reformerflügels arbeiten dabei sogar mit ausgesprochenen Linken-Gegnern aus der bürgerlichen Medienlandschaft zusammen und geben Parteiinterna weiter, die sodann öffentlich ausgeschlachtet werden. Fernziel der »Reformkräfte« ist eine Bundesregierung mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen in Folge der nächsten Bundestagswahl 2017. Hemmnisse für ein solches Regierungsbündnis wollen sie soweit als möglich aus dem Weg räumen. Vor allem Landesverbände, die sich politisch mehrheitlich auf dem linken Flügel der Partei verorten – wie etwa der nordrhein-westfälische – gelten den Strategen in der Parteizentrale, dem Berliner Karl-Liebknecht-Haus als Störfaktor. In den letzten zwei Wochen inszenierten Spitzenpolitiker der Linkspartei, wie etwa Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn, der Bundestagsabgeordnete Harald Petzold oder auch der Fraktionschef im Landtag von Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, mit Hilfe der Presse und sogenannter sozialer Netzwerke im Internet eine Neuauflage des »Antisemitismusstreits«. So wollen Teile der Partei im nordrhein-westfälischen Landesverband eine »Querfront gegen Israel« ausgemacht haben, die angeblich von Islamisten und Neonazis bis hin zu Linke-Mitgliedern reicht. Die Parteirechte ist erbost, weil bereits am 18. Juli bis zu 3000 Menschen an einer Demonstration in Essen teilnahmen, die von der nordrhein-westfälischen Linksjugend organisiert worden war und die sich gegen das israelische Bombardement der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen richtete. Am selben Tag hatten sich in Essen auch rund 50 Personen versammelt, um ihre Solidarität mit Israel und ihr Einverständnis mit dem als »Selbstverteidigung« deklarierten Bombenkrieg zu bekunden (jW berichtete). An jener Kriegskundgebung teilgenommen hatte eine Querfront aus »Antideutschen«, Rassisten, die unter dem Deckmantel der »Islamkritik« gegen die »Willkommenskultur« agitieren, und Mitgliedern der Partei Die Linke. Deren brandenburgischer Bundestagsabgeordneter Harald Petzold trat dort gar als Redner auf. Seither vergeht kaum ein Tag, ohne daß in bundesdeutschen Medien über vermeintlich antisemitische Kräfte in der Linkspartei gestritten wird. »Antisemitismus-Streit im ›Hort des Wahnsinns‹« titelte erst vor wenigen Tagen Die Welt. Das Neue Deutschland wußte sogar schon im Vorfeld der Essener Friedensdemonstration über »Hitlerbilder, Antisemiten und die Linke« zu berichten. In Folge der Proteste hatte vor allem Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn in einer jW vorliegenden E-Mail versucht, seine nordrhein-westfälischen Genossen unter Druck zu setzen. Als diese an ihrer Demonstration festhielten, machte er mit einer Presseerklärung gegen die eigene Parteigliederung mobil und behauptete darin, daß im Vorfeld der Demonstration »der Schutz jüdischer Einrichtungen verstärkt« werden mußte und daß »die Essener Synagoge erklärtes Ziel israelfeindlicher Teilnehmer dieser Kundgebung war«. Antisemitische Äußerungen, die tatsächlich, aber nicht auf der von der Linksjugend organisierten Demonstration am Weberplatz gefallen waren, sondern etwa einen Kilometer entfernt am Willy-Brandt-Platz, wurden in Parteikreisen zum Teil bewußt falsch zugeordnet. Höhn, dessen privates Facebockprofil eine Israelfahne ziert, war nicht der einzige Linke-Politiker, der den Konflikt im Nachgang der Proteste öffentlich anheizte. Sein Gesinnungsgenosse Wulf Gallert mischte sich aus dem fernen Sachsen-Anhalt in die Personalpolitik der NRW-Linken ein und forderte den dortigen Landessprecher Ralf Michalowsky im Kurznachrichtendienst Twitter indirekt zum Rücktritt auf. Flankiert wird die genüßliche Medienberichterstattung über angeblich unter Linken grassierenden Antisemitismus von süffisanten und verleumderischen Kommentaren der Parteirechten bei Facebook. Auch Mitarbeiter der Bundestagsfraktion machen dort – offenbar ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen – gegen eigene Abgeordnete mobil. Harald Petzold, der auf der antideutschen Kriegskundgebung in Essen gesprochen hatte, an der – dies belegen Videoaufnahmen und Augenzeugenberichte – auch der Rechtspopulist Michael Höhne-Pattberg teilnahm, versandte kürzlich eine E-Mail an ausgewählte nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete, die er als »sachlich, konstruktiv und fair« einschätzt. In der jW vorliegenden Mail behauptet Petzold, seine Teilnahme bei der bellizistischen Kundgebung habe sich »zu keinem Zeitpunkt« gegen den Linke-Landesverband NRW gerichtet. Auch die Anwesenheit von bekannten Rassisten könne er »nicht bestätigen«. Zu den Hunderten toten Palästinensern, die binnen weniger Tage Opfer des israelischen Bombenterrors wurden, verliert er erwartungsgemäß kein Wort. Die Landesgruppe der aus NRW stammenden Bundestagsabgeordneten der Linken hatte Petzold zuvor vorgeworfen, direkt daran mitzuwirken, »eine Aktion einer Landesgliederung zu diskreditieren«. Dies sei ein »offener Affront gegen die Landespartei« gewesen. Die Verwerfungen dürften auch in einer der ersten Fraktionssitzungen im Bundestag nach der Sommerpause Thema sein. Daß derweil das Spitzenpersonal einer Partei das Sommerloch nutzt, um derart gegen eigene Gliederungen mobil zu machen, ist in dieser Form nur bei der Linkspartei möglich. Ob derlei Verhalten nicht doch Auswirkungen auf die in Kürze anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen haben wird, bleibt abzuwarten. Petzold sagte: „Ich möchte Ihnen drittens sagen: Ich habe mich heute Vormittag ganz spontan entschlossen, hierher zu kommen, nachdem ich in den Medien und durch Freunde mitgeteilt bekommen habe, was sich hier sozusagen `zusammenbraut´. Und das leider Vertreterinnen und Vertreter meiner Partei dazu beitragen, Öl ins Feuer zu gießen anstelle für Ausgleich zu sorgen. Und auch deswegen habe ich mich spontan entschieden, hierher zu kommen und damit zu signalisieren: Für DIE LINKE. ist das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar. Ich sage Ihnen aber auch: Das Selbstverteidigungsrecht des Staates Israel sollte sich am Völkerrecht orientieren.“

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