Montag, 11. August 2014

Gegen den Kleingeist in der politischen Linken

Aufs Ganze gehen Von Stefan Klingersberger Quelle: Kominform (Wien) vom 01.06.2014 Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es. Kleinmut hingegen kniet freiwillig, wenn auch oft unbewusst: Der Kleingeist verklärt dieses Knien als Bescheidenheit oder Besonnenheit. Notwendig wäre aber der aufrechte Gang. Die Knieenden wie die Gefallenen müssen sich aufrappeln. Die politische „Linke“1 befindet sich in Europa seit über einem Vierteljahrhundert in einer historischen Defensive. In die Ecke gedrängt von den Siegern des Kalten Krieges, die den Kapitalismus seither sehr erfolgreich als das Ende der Geschichte verkaufen, hat es die Linke auf unserem Kontinent bisher nicht geschafft, sich aus dieser Ecke wieder herauszuringen. Die Gleichschaltung der westlichen Medien, Bildungssysteme und sonstiger bewusstseinsprägender Institutionen zugunsten der vermeintlichen Unausweichlichkeit des Kapitalismus sowie die Unsichtbarkeit historischer Alternativen haben zu einer fatalen Orientierungslosigkeit in der europäischen Linken geführt. Grundsätzlich werden! Die notwendige Umgestaltung der Gesellschaft von Grund auf wurde seither kaum mehr zu träumen gewagt und in der Regel auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Folglich schien es überflüssig, sich darüber Gedanken zu machen, wie diese grundlegende Umgestaltung am besten herbeizuführen sei, wie der Kapitalismus analysiert werden solle und wo sich seine Bruchstellen befinden könnten, an denen angesetzt werden muss. Dabei wäre die radikale Umgestaltung der Gesellschaft heute so dringend wie – eh und je? Oder wie noch nie. Millionen Menschen werden von der kapitalistischen Krise, deren Ende nicht abzusehen ist, in Armut, Elend und Arbeitslosigkeit gedrängt. Die rechten Rattenfänger kriechen aus ihren Löchern, um die Völker zu spalten und dadurch beherrschbar zu machen. Die EU entlarvt sich immer offensichtlicher als Instrument der europäischen Hauptmächte, um die Ausbeutung und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung sowie der abhängigen Länder zu perfektionieren. Die Kriegstreiber haben Waffen im Gepäck, mit denen ein dritter Weltkrieg der letzte wäre. Die Natur, deren Teil, aber nicht Eroberer wir sind, wird in rasantem Tempo zerstört, und damit auch unsere eigene Lebensgrundlage. Wer sich vor diesem Hintergrund mit Kleinigkeiten begnügt, ohne sie mit ebendiesem Hintergrund zu verknüpfen, verkennt die Realität. Wer Reformen2 und Reförmchen propagiert, ohne gleichzeitig Perspektiven einer grundlegenden Umgestaltung aufzuzeigen, lenkt von ihr ab. Und wer abstrakt von solch grundlegenden Umgestaltungen schwärmt, ohne sich die konkreten Bedingungen der Möglichkeit ihrer Verwirklichung klarzumachen3, über sie aufzuklären und zu ihrer Erfüllung beizutragen, kann nur als heuchlerisch bezeichnet werden. „Keiner oder alle. Alles oder nichts.“ (Bertolt Brecht) Tatsächlich geht es heute um alles oder nichts: Die Selbstvernichtung der Menschheit beziehungsweise zumindest der menschlichen Zivilisation, oder auch die Einzementierung der Klassenherrschaft dergestalt, dass ein emanzipatorischer Bruch unmöglich wird, sind als realistische Optionen noch gar nicht lange denkbar, dafür werden sie jetzt immer bedenklicher4. Der Kapitalismus wird aufgrund seiner inhärenten Gesetzmäßigkeiten immer wieder und immer weiter in diese Richtungen treiben. Die einzige Rettung bestünde folglich darin, den Kapitalismus zu überwinden. Erforderlich wäre, aufs Ganze zu gehen, in revolutionärer Theorie wie Praxis, jegliche Scheuklappen abzulegen und die grundlegenden Strukturen und Zusammenhänge der Gesellschaft und der Welt zu verstehen versuchen. Und zwar auf eine Weise, die es ermöglicht, ebendiese Strukturen und Zusammenhänge bestmöglich in eine positive Richtung zu beeinflussen, um sodann der berühmten „elften Feuerbachthese“5 gerecht zu werden und genau das aktiv zu tun. Dieser Anspruch, im Denken und Handeln aufs Ganze zu gehen, hat nichts mit eingangs erwähntem Hochmut zu tun, sondern basiert auf nichts Geringerem als der persönlichen Integrität eines aufgeklärten Menschen. Das Ziel ist der aufrecht gehende Mensch in solidarischer Gemeinschaft, der selbstbewusst und vorausschauend eine bessere Zukunft gestaltet und zu diesem Zweck die eine Welt als ein Ganzes denkt, dessen grundlegende Veränderung ebenfalls nur aufs Ganze geht. 1 Verstanden als jene Kräfte, die die Forcierung des Fortschritts, vor allem des sozialen, versuchen. 2 Die ja heutzutage bezeichnenderweise schon fast eine negative Konnotation haben, weil sie unter der Fuchtel der derzeit etablierten Parteien so gut wie immer, wenn auch großteils sicher beabsichtigt, nach hinten los gehen. 3 Wozu nüchterne Kapitalismusanalyse eine zentrale Voraussetzung ist. 4 Insofern könnte der Kapitalismus tatsächlich das Ende der Geschichte bedeuten, wenn er die Menschheit mit sich in den Tod reißt. So war das von den Apologeten des Kapitals aber nicht gemeint. 5 „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt drauf an, sie zu verändern.“, Karl Marx (Thesen über Feuerbach, http://bit.ly/1hB0rYu). Verallgemeinert gesehen handelt es sich bei diesem Satz um einen der zentralen spekulativ-philosophischen Sätze der gesamten Philosophiegeschichte. Ihm geht es um die Herstellung der Einheit von Theorie und Praxis, wobei sich Marx in Zusammenhang mit der Kritik bisheriger Philosophie vor allem zur Forderung nach dem praktisch-werden der Philosophie und dem Sprung vom Denken zum (theoriegeleiteten) Handeln gedrängt sah. [Ein Artikel von Stefan Klingersberger in der uni:press der ÖH Salzburg, April 2014, Seite 46. http://issuu.com/unipress/docs/up676online/41?e=4694436/7946402] Quelle: rotes-salzburg.at

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