Dienstag, 19. August 2014

Kritik und Selbstkritik

eine Waffe im Kampf um die Entfaltung der sozialistischen Kultur Von M.A.Leonow (1950) Die Kritik und Selbstkritik ist eine Triebkraft nicht nur für die Entwicklung des materiellen, sondern auch für die Entfallung des geistigen Lebens in der Sowjetgesell­schaft. Sie dient zur Überwindung des Veralteten und Rückständigen, als Methode im Kampf um das Neue und Fortschrittliche in Wissenschaft und Kultur. Die marxistisch-leninistische Kritik war auf ideologi­schem Gebiet von jeher auf einen entschlossenen Kampf mit allen die Vorwärtsbewegung hemmenden, reaktionä­ren Ideen eingestellt. Der Entfaltung von Kritik und. Selbstkritik in der ideologischen Arbeit kommt in unse­ren Tagen ganz besondere Bedeutung zu angesichts ihrer Aufgaben in dem äußerst verschärften Kampf zwischen der bürgerlichen und der kommunistischen Ideologie. Die sowjetische Ideologie hat eine historische Aufgabe zu erfüllen. Sie hat durch eine systematische revolutio­näre Kritik der Wissenschaft und der Kultur der Bour­geoisie, durch die Entlarvung der reaktionären Theorien die Beseitigung der kapitalistischen Überreste im Bewußt­sein unserer Menschen zu beschleunigen. „Der Schwer­punkt der ideologischen Parteiarbeit liegt in Anbetracht der gegenwärtigen Verhältnisse auf der unbedingten Überwindung der Überreste bürgerlicher Ideologien und auf einer Verstärkung der bolschewistischen Unversöhnlichkeit gegenüber ideologischen Entstellungen aller Art.“ [1] Diese historische Aufgabe ist nur zu lösen, wenn die Frage der bolschewistischen Kritik und Selbstkritik auch im ideologischen Sektor aufgerollt wird. Die Beschlüsse des Zentralkomitees der Partei bezüg­lich der ideologisch-politischen Arbeit fordern eine unversöhnliche Einstellung gegenüber ideologischen Entstel­lungen aller Art und ein höheres Niveau der Propagie­rung des sozialistischen Sowjetsystems und der sowjeti­schen Kultur. Die bolschewistische Kritik und Selbstkritik weist eine Reihe von Besonderheiten auf. In erster Linie ist sie streng prinzipiell und wissenschaftlich objektiv. Die Objektivität der bolschewistischen Kritik und Selbstkritik besteht darin, daß sie die Entwicklungs­prozesse der objektiven Welt wahrheitsgetreu wiedergibt. Im Entwicklungsgang der objektiven Welt tragen jedes Objekt und jede Erscheinung infolge ihres inneren Widerspruchs die eigene Negation in sich. Im Kampf der sich widersprechenden Tendenzen, im Ringen des Alten mit dem Neuen gewinnt das Neue die Oberhand, während das Alte und überlebte untergeht. Die Entwicklung ist ein endloser Prozeß der Entdeckung neuer Seiten in der materiellen Wirklichkeit. Das große Verdienst der marxi­stisch-leninistischen Philosophie besteht darin, daß sie erstmalig das dialektische Entwicklungsgesetz des Den­kens aufgedeckt hat, nämlich den Widerspruch zwischen den überlieferten Ansichten und der Notwendigkeit, sie im Zusammenhang mit neuen Tatsachen zu revidieren. Gewiß wurde von vielen Köpfen der Wissenschaft schon vor der Entstehung des Marxismus erkannt, daß ohne Kritik und Selbstkritik ein Fortschritt im wissenschaftlichen Denken unmöglich ist. Genosse Stalin weist darauf hin, daß die Wissenschaft im Verlaufe ihrer Ent­wicklung nicht wenig tapfere Menschen hervorgebracht hat, wie z. B. Galilei, Darwin und viele andere, die trotz aller Hindernisse nicht davor zurückschreckten, das Alte über den Haufen zu werfen und Neues zu schaffen. Die wirklichen Wissenschaftler haben in ihrer Arbeit immer die Kritik und Selbstkritik angewandt. Von der wissen­schaftlichen Arbeit I.P.Pawlows schreibt Akademiemit­glied L.A.Orbeli: „Das ganze: Schaffen Iwan Petro­witschs ging so vor sich, daß er entsprechend den neu­gewonnenen Erkenntnissen bestimmte theoretische Leit­sätze und vorläufige Theorien aufstellte, sodann aber auf Grund neuer Tatsachen und Erfahrungen seine früheren theoretischen Fofgerungen von Grund auf revidierte … Jeder Leitsatz, den Iwan Petrowitsch aufstellte, wurde von ihm einer ständigen Kritik und Prüfung unterzogen” [2] Die theoretische Begründung der Kritik und Selbst­kritik als einer dialektischen Gesetzmäßigkeit in der Ent­wicklung der Erkenntnis wurde allerdings erst durch den wissenschaftlichen Sozialismus gegeben. Er sieht in der Kritik und Selbstkritik eine Triebkraft des theoretischen Denkens und eine notwendige Bedingung für die schöpferische Arbeit. Wenn die Dinge, die Erscheinungen ständig im Fluß, beweglich und elastisch sind und sich im Entwicklunmgsprozeß aus einer Form in eine andere verwandeln, dann müssen demzufolge auch unsere Vorstellungen und Be­griffe von ihnen ebenso elastisch und beweglich sein, damit sie die geringsten Veränderungen der. Wirklichkeit wiedergeben und das Neue in der Entwicklung auffangen können. „Die Dialektik besagt, daß es auf der Welt nichts Ewiges gibt, auf der Welt ist alles vergänglich und ver­änderlich, es verändert sich die Natur, es verändert sich die Gesellschaft, es verändern sich die Sitten und Gebräuche, es verändern sich die Gerechtigkeitsbegriffe, ja, es verändert sich selbst die Wahrheit; deshalb sieht die Dialektik kritisch auf alles, und deshalb leugnet sie auch eine für ewig aufgestellte Wahrheit.“ [3] Kritik und Selbstkritik ist eine Form des Denkens, die dazu bestimmt ist, die sich in der objektiven Wirklich­keit vollziehenden Veränderungen zu berücksichtigen und unser Denken mit diesen Veränderungen in Einklang zu bringen. Ein Zurückbleiben des Bewußtseins hinter der Ent­wicklung der materiellen Welt ist auch im wissenschaft­lichen Denken festzustellen. Das Denken bevorzugt nicht selten einen bereits geebneten Weg und sucht oft fer­tige Antworten auf neue Probleme. Daher auch das Bestreben, von bereits gegebenen Definitionen auszugehen. Das ist die konservative Seite des Denkens, eine Quelle des Dogmatismus, der unsere Begriffe als erschöpfend und absolut hinnimmt und die weitere Erforschung eines Objekts für überflüssig erachtet. Nicht zufällig ist der Dogmatismus den reaktionären Theorien eigen, welche die Interessen reaktionärer Klassen zum Ausdruck bringen, der Klassen, die das überlebte und Rückständige verteidigen und den Fortschritt bekämpfen. Dogmatismus heißt, den bestehenden Theorien blinden Glauben schenken. Der Dogmatismus ist unfähig oder nicht gewillt, die bestehenden Theorien einer kritischen Prüfung.zu unterziehen und sie entsprechend den neuen Verhältnissen zu modifizieren. Dogmatismus schlimmster Art äußert sich, in dem Bestreben, neue Erscheinungen dadurch verstehen zu wollen, daß man sie in alte „ge­wohnte“ Begriffe, in Begriffe von alten Gesetzmäßigkeiten hineinzwängt, die überhaupt nicht mehr oder aber in einer neuen Form wirksam sind. Es ist ganz offen­sichtlich, daß konservative, starre Begriffe nicht in der Lage sind, alle Übergänge und Schattierungen des Seins festzuhalten und wiederzugeben. Die Dogmatisierung des Denkens bedeutet eine direkte Abkehr von der Wissenschaft, da in diesem Falle das Denken selbst metaphysisch, nicht als dynamischer, son­dern als unveränderlicher Vorgang angesehen wird. Dog­matismus ist eine direkte Abkehr von der Wissenschaft, und zwar deshalb, weil er die sich in der Wirklichkeit vollziehenden Veränderungen ignoriert, weil er nicht von Tatsachen, von den Gegebenheiten des Lebens, sondern von irgendwelchen Begriffen und Thesen ausgeht, in die er das Leben hineinzupressen versucht und damit die Wirklichkeit selbst entstellt. Echte Wissenschaft muß sich gegen den Konservativis­mus und den Stillstand des Denkens, gegen die Umwand­lung von Begriffen in leblose Dogmen und gegen deren Kanonisierung auflehnen. Durch Kritik und Selbstkritik überwindet sie die Trägheit und den Konservativismus im Denken, verwirft eingebürgerte Thesen und Vorur­teile, zerbricht überlebte. Begriffe und ersetzt sie durch neue, die ein wahrheitsgetreues Bild der Wirklichkeit abgeben. „Die Wissenschaft heißt gerade deshalb Wissenschaft,“ lehr Genosse Stalin, weil sie keine Fetische anerkennt, sich nicht fürchtet, gegen das überlebte, das Alte die Hand zu erheben, und ein feines Gehör für die Stimme der Erfahrung, der Praxis hat.“ [4] Ein klares Beispiel dafür wie Kritik und Selbstkritik für die Entwicklung der Wissenschaft und ihren Fort­schritt anzuwenden sind, bietet die Geschichte des Marxis­mus. Mit Hilfe der Kritik und Selbstkritik befreit sich der Marxismus fortlaufend von veralteten Formeln, überprüft und erneuert er die bisherigen und schreitet somit unentwegt vorwärts. Hierin unterscheidet sich der Marxis­mus grundsätzlich von allen philosophischen Systemen. In dieser Hinsicht trug der Marxismus in die Philosophie ein bis dahin noch unbekanntes Element. Für die alte Philosophie ist charakteristisch, daß fast jeder Philosoph bestrebt war, ein geschlossenes und allumfassendes Sy­stem zu schaffen, in dem für alle Zeiten die absolute Wahrheit, die Wahrheit in letzter Instanz festgestellt werden sollte. Damit setzte aber die alte Philosophie der Entwicklung der Wissenschaft und dem lebendigen phi­losophischen Denken selbst die Grenze. Die marxistische Philosophie unterscheidet sich von allen philosophischen Systemen grundsätzlich durch ihren schöpferischen Charakter, durch das Bestreben, ihre Leitsätze zu erneuern und weiterzuentwickeln, durch ihre Feindschaft gegenüber jeglichem Dogmatismus, der versucht, die ge­wonnenen Ergebnisse erstarren zu lassen und zum Dog­ma zu erheben. Die marxistisch-leninistische Theorie entwickelt sich in ständiger Bewegung und wird durch neue Leitsätze bereichert und vervollkommnet. Engels sagte, daß der Marxismus kein Dogma, sondern eine Anleitung zum Handeln sei. Lenin erinnert desöfteren daran, daß man die Theorie von Marx nicht als etwas Abgeschlos­senes und Unantastbares betrachten solle. Genosse Stalin weist wiederholt auf die Notwendigkeit hin, zwischen dem schöpferischen und dem dogmatischen Marxismus zu unterscheiden. Er zeigt, daß der theoretische, schöpfe­rische Marxismus die Verbesserung und Bereicherung der alten Formeln unter Berücksichtigung der neuen Erfah­rungen verlangt, allerdings unter Wahrung des marxistischen Standpunkts. Als die führenden Köpfe unserer Wissenschaft haben Marx, Engels, Lenin und Stalin während ihres ganzen Lebens die von ihnen ge­schaffene revolutionäre Lehre schöpferisch. weiterentickelt und bereichert. Das Schöpferische des Marxismus besteht gerade darin, daß er mit Hilfe der Kritik und Selbstkritik veraltete Leitsätze und Schlußfolgerungen durch neue, den hi­storischen Verhältnissen entsprechende Leitsätze ablöst. „Man kann sich nicht vorwärtsbewegen“, sagte Genosse Stalin, „und die Wissenschaft fördern, ohne die übernommenen Leitsätze und Aussprüche bekannter Autori­täten einer kritischen Beurteilung zu unterziehen. Das bezieht sich nicht nur auf Autoritäten des Kriegswesens, sondern auch auf die Klassiker des Marxismus.“ [5] In den vierziger Jahren äußerte Engels den Gedanken von der Möglichkeit des gleichzeitigen Sieges der sozialistischen Revolution in allen zivilisierten Ländern. Er und StaIin unterzogen diese These von Engels einer Kri­tik, indem sie aufzeigten, daß unter den Verhältnissen der imperialistischen Epoche, in der sich die Ungleich­mäßigkeit und Sprunghaftigkeit in der Entwicklung der kapitaristisehen Länder bedeutend verstärkten, „die alte Formel von Engels schon nicht mehr richtig ist. Unter diesen Verhältnissen muß sie notwendigerweise durch eine andere Formel, durch die von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande abgelöst werden.“ [6] Das von Lenin dargelegte Gesetz von der Ungleich­mäßiakeit der ökonomischen und politischen Entwlck­lung der verschiedenen Länder zeigte, daß die These von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in nur einem Lande den neuen Entwicklungsbedingungen be­reits nicht mehr gerecht wird. Lenin und Stalin bereicher­ten den Marxismus-Leninismus, indem sie die Möglich­keit des sozialistischen Aufbaus in einem einzelnen Lande in der Epoche des Imperialismus begründeten. Parteikritik ist prinzipielle Kritik. Von der bolsehe­wistischen Prinzipienfestigkeit sagte Genosse Stalin, daß sie die Formel sei, mit deren Hilfe Lenin „uneinnehm­bare“ Festungen im Sturme nahm. Die marxistisch-leni­nistische Prinzipienfestigkeit ist unter keinen Umständen mit der Verheimlichung und Vertuschung von Wider­sprüchen, Mängeln oder Fehlern zu vereinbaren. Sie rich­tet sich im Gegenteil auf die Aufdeckung von Widersprüchen und Fehlern und deren konsequente Beseitigung. Sie wendet sich gegen jeglichen „Objektivismus“ und so­genannte unpolitische Ansichten und bekämpft rück­sichtslos alle Versuche, reaktionäre Ideen in die sowje­tische Ideologie einzuschleppen. Prinzipienfestigkeit in der Kritik bedeutet Verteidigung der Interessen des Volkes, des sowjetischen Staates ohne Rücksicht auf persön­liche oder freundschaftliche Beziehungen. Zu welchen ernsten Folgen die Nichtbeachtung der bolschewistischen Prinzipienfestigkeit in der Kritik. füh­ren kann, zeigen all die schädlichen und gefährlichen Erscheinungen, die in den Beschlüssen des ZK der KPdSU (B) hinsichtlieh ideologischer Fragen herausgestellt wur­den. „Ein prinzipienloses Herantreten an die Kritik führt dazu, daß beispielsweise in die sowjetische Belletristik ideologisch fremde Werke eindringen konnten. Um freund­schaftliche Beziehungen nicht zu trüben, wird die Kritik zurückgehalten. Um Freunde nicht zu beleidigen, wurden offensichtlich unbrauchbare Werke zum Druck zugelas­sen. Ein derartiger Liberalismus, der die Interessen. des Volkes und Staates sowie die Interessen der richtigen Erziehung unserer Jugend freundschaftlichen Beziehun­gen opfert und die Kritik erstickt, führt dazu, daß die Schriftsteller aufhören, sich zu vervollkommnen, daß sie ihr Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Volke, dem Staat und der Partei verlieren und daß ihre Weiterentwicklung zum Stillstand kommt.“ [7] Eine prinzipienlose Kritik führt zu Übertreibung und Lobhudelei. So zeigte sich beispielsweise die damals noch nicht überwundene Atmosphäre des übertriebenen Lobes in unserem literarischen Schaffen in der Drucklegung der noch nicht ausgereiften ·und in vielem mangelhaften Erzählung „Der Rauch des Vaterlandes“ von K.Simonow. Prinzipienlosigkeit in der Kritik führt zu einseitiger Beurteilung. Welcher Schaden unserer Sache durch jed­wede Einseitigkeit zugefügt werden kann, zeigen uns die Fehler, die von den Literaturkritikern bei der Beurtei­lung des Romans „Die junge Garde“ von A.Fadejew ge­macht wurden. In diesem Roman wird die führende Rolle der Partei nicht aufgezeigt, die Gestalt der illegalen Bol­schewiki verzerrt u.a.m. Dadurch, daß die Kritiker sich ausschließlich auf eine Darstellung der guten Seiten dieses Werkes konzentrierten, entgingen ihnen die ernsten Mängel des Romans. Im Interesse der Weiterentwicklung unserer Literatur und des Schriftstellers selbst hätte man auf diese Fehler hinweisen müssen. Das Abweichen von der bolschewistischen Prinzipienfestigkeit findet oft dar­in seinen Ausdruck, daß ein verdienter Schriftsteller gewissermaßen als unantastbare Autorität und außerhalb der Kritik stehend betrachtet wird. Das Abweichen von der bolschewistischen Prinzipien­festigkeit in der Kritik kann zur Ideenlosigkeit und zur Trennung von Theorie und Praxis führen. Die Schwäche in der Kritik und Selbstkritik führte auf dem Gebiete der Philosophie dazu, daß unsere Philosophen hinter den ak­tuellen Aufgaben zurückblieben. „Allem Anschein nach“, sagte Genosse Shdanow, „kommt ihnen die Prinzipien- ­und Ideenlosigkeit in der philosophischen Arbeit, die Vernachlässigung der Gegenwartsthematik.und die Krie­cherei und Beweihräucherung der bürgerlichen Philosophie gar nicht zum Bewußtsein.“ [8] Prinzipienlosigkeit in der Kritik kommt auch der willkürlichen Ablehnung alles Positiven zum Ausdruck. In der Literaturkritik finden wir zuweilen scharfe Bemerkungen, die ein paar unglückliche Formulierungen oder geringfügige Mängel eines Werkes herausstellen und die dann die Grundlage für vernichtende und ablehnende. Schlußfolgerungen über die Qualität des gesamten Wer­kes abgeben. Prinzipielle Kritik ist schöpferische Kritik. Die bolschewistische prinzipielle Kritik verlangt ein hohes Niveau und soll uns Aufschluß geben über das Neue ir­gendeiner Arbeit, uns darüber unterrichten, inwieweit sie den Anforderungen der Wissenschaft, dem sozialisti­schen Aufbau und der kommunistischen Erziehung des Sowjetmenschen genügt. Nur eine kühne und prinzipielle bolschewistische Kritik kann zur Vervollkommnung des sowjetischen Wissenschaftlers und Künstlers beitragen und den Dogmatismus und die Feigheit beim Aufstellen neuer, die Theorie befruchtender Probleme überwinden. Eine andere charakteristische Besonderheit der bol­schewistischen Kritik liegt darin, daß sie fähig ist, tief­gründig und rückhaltlos die Mängel in unserer Arbeit aufzudecken und weitgehende Schlußfolgerungen zu zie­hen. Ein Beispiel für eine scharfe Kritik sind die Beschlüsse des ZK der Partei über Fragen der Ideologie, in denen bei der Darstellung der einzelnen Mängel zugleich auch das Typische und Allgemeine aufgezeigt wird. Durch die Kritik des Buches von G.F.Alexandrow „Die Ge­schichte der westeuropäischen Philosophie“ deckte Ge­nosse Shdanow zugleich auch Mängel in unserer gesam­ten philosophischen Arbeit auf. „Einige irrige Leitsätze des Lehrbuches laufen parallel mit dem Zurückbleiben an der gesamten übrigen philosophischen Front und stel­len somit keinen einzelnen zufälligen Faktor, sondern eine ganze Erscheinung dar.“ [9] Die Beschlüsse des ZK der KPdSU (B) über Fragen der Ideologie, über die Zeitschriften „Swesda“ und „Le­ningrad“, über das Repertoire unserer Theater, über den Film „Das große Leben“, über die Oper „Die große Freundschaft“ von W.Muradeli verfolgen alle ein gemeinsames Ziel – den neuen Aufstieg der sowjetischen sozialistischen Kultur und das Aufblühen unserer Kunst. Eine weitere hervortretende Besonderheit der bolsche­wistischen Kritik und Selbstkritik ist auch ihre Kühnheit. Ohne diese Kühnheit ist es unmöglich, sich von alten Vorurteilen zu befreien. Ohne eine kühne Kritik und Selbstkritik können die Widersprüche zwischen den eingebürgerten Ansichten und den neuen Ergebnissen der Wissenschaft nicht überwunden und in Einklang gebracht werden. Nicht umsonst schrieb Marx: „Bei dem Eingang in die Wissenschaft aber, wie beim Eingang in die Hölle, muß die Forderung gestellt werden: Hier muß man allen Argwohn zurücklassen und jede Niedertracht muß hier ersterben.“ [10] Auf Mut und Kühnheit in der wissenschaftlichen Ar­beit wird auch vom Genossen Stalin wiederholt hinge­wiesen. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Traditionen der Wissenschaft auszunutzen. betont er aus­drücklich, daß die Wissenschaftler jedoch nicht zum Sklaven dieser Tradition werden dürfen, sondern mutig und entschlossen mit den alten Traditionen brechen müs­sen, wenn diese zu einem Hemmnis des Fortschritts wer­den. Das Leben Lenins und Stalins gibt uns ein anschau­liches Beispiel für einen unentwegten und mutigen Kampf um das Neue und gegen das überlebte. Lenin schreckte nicht davor zurück, auf Grund einer wissenschaftlichen Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung Rußlands und der internationalen Lage im Jahre 1917 die These auf­zustellen, daß der einzige Ausweg Rußlands aus dieser Situation in einem Sieg des Sozialismus bestehe. Das war, nach den Worten Stalins, für viele Wissenschaftler der damaligen Zeit eine völlig unerwartete Schlußfolgerung. Lenin aber fürchtete sich nicht, gegen den Strom zu schwimmen und gegen die Trägheit zu kämpfen. Im Jahre 1904 zögerte Genosse Stalin nicht, gegen Plecha­now aufzutreten und ihm im „Brief aus Kutais“ sein Zu­rückbleiben hinter den neuen Problemen vorzuhalten. Lenin und Stalin geben uns eine ganze Reihe von Bei­spielen einer mutigen Kritik ohne Ansehen der Person. So unterzog Genosse Stalin einige irrige Behauptungen von Friedrich Engels einer kritischen Analyse. In seiner Arbeit über den Artikel von Engels „Die Außenpolitik des russischen Zarismus“ deckt Gcnosse Stalin Fehler auf, die Engels unterlaufen sind. Engels charnkterisiert die Eroberungspolitik des Zarismus wenjger als ein „Bedürf­nis“ der militaristisch-feudalistisch-händlerischen Ober­schicht Rußlands nach einem Zugang zu den Meeren, son­dern begründet sie vielmehr damit, daß an der Spitze der Innenpolitik, wie Engels behauptet, eine allmächtige, raffinierte Clique von ausländischen Abenteurern stand. Als Genosse Stalin die Unhaltbarkeit dieser Behauptung Engels nachwies, schrieb er: „Eine derartige Behandlung dieser Frage durch Engels mag mehr als unwahrschein­lieh klingen – leider aber ist sie eine Tatsache.“ [11] In einem anderen Artikel „Antwort des Genossen Sta­lin auf einen Brief des Genossen Rasin“ sind die irrigen Bemerkungen von Friedrich Engels, daß Barclay de Tolly der einzige beachtenswerte russische Heerführer gewesen sei, einer Kritik unterzogen worden. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer kritischen Auseinanderset­zung selbst mit den Klassikern des Marxismus schreibt Genosse Stalin: „…und da finden sich doch auch in un­serer Zeit noch Menschen, die mit allem Nachdruck die­sen irrigen Ausspruch von Friedrich Engcls verteidigen.“ [12] Vor einigen Jahren lenkte Genosse Stalin die Auf­merksamkeit unserer Theoretiker auf die irrigen Formu­lierungen, die Engels im Vorwort zur ersten Ausgabe sei­nes Buches „Der Ursprung der Familie, des Privateigen­tums und des Staats“ gegeben hat, und bemängelte ihre Zurückhaltung in bezug auf eine kritische Würdigung dieser Thesen. In dem Vorwort wird bekanntlich gesagt: „Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe.einer­seits der Arbeit, andrerseits der Familie.“ [13] Obwohl Engels auf diese Behauptung nirgends mehr zurückkommt, hielt es Genosse Stalin doch für notwen­dig, die Fehlerhaftigkeit dieser These herauszustellen und darauf hinzuweisen, daß es nur eine Basis des gesellschaft­lichen Lebens gibt – die Produktionsweise. Alle anderen Seiten des gesellschaftlichen Lebens, darunter auch die Fa­milie, werden in ihrer Existenz und Entwicklung durch die Produktionsweise bedingt. Auch in der Sowjetwissen­schaft kann und darf es keine „unantastbaren“ Autori­täten geben, die außerhalb jeder Kritik stehen. Jedes be­liebige Werk muß einer allseitigen bolschewistischen Kri­tik unterzogen werden. Zitate: [1] G.Malenkow, Informationsvortrag über das Wirken des ZK der KPdSU (B) auf der Versammlung der Vertreter einiger kom­munistischer Parteien in Polen Ende September 1947. Prawda, 9. Dezember 1947. [2] L.A.Orbeli, Vorträge über Fragen der höheren Nerventätig­keit, Verlag der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Moskau-Leningrad 1945, S.6. [3] J.Stalin, Werke, Bd.1, S.301. [4] J.Stalin, Fragen des Leninismus, 11.Aufl., S.502; deutsch: ebd., Moskau 1947, S.607/608. [5] Antwort des Genossen Stalin auf den Brief des Genossen Rasin. Bolschewik Nr.3, 1947, S.7 [6] J.Stalin, Über die Opposition, S.338 [7] Über die Zeitschriften „Swesda“ und „Leningrad“. Aus dem Beschluß des ZK der KPdSU (B) vom 14.August 1946. Prawda, 21. August 1946. [8] Fragen der Philosophie, 1947, Nr.1, S.269 [9] Fragen der Philosophie, 1947, Nr.1, 5.268. [10] K.Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Staatlicher Verlag für politische Literatur 1939, S.8; deutsch: ebd., Berlin 1947, S.16. [11] Bolschewik Nr.9, 1941, 5.2. [12] Bolschewik Nr.3, 1947, S. 8. [13] F.Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Parteiverlag 1937, S.4; deutsch: ebd., Berlin 1946, S. VI. Quelle: M.A.Leonow, Kritik und Selbstkritik – eine dialektische Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung der Sowjetgesellschaft, Verlag Kultur und Fortschritt Berlin, 1950, S.37-51.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen