Montag, 11. August 2014

»PKK hat uns gerettet«

US-Präsident Barack Obama hat in der Nacht zum Freitag Luftangriffe gegen die dschihadistische Terrororganisation Islamischer Staat (IS) genehmigt, die in den vergangenen Wochen weite Teile des Irak unter ihre Kontrolle gebracht hat. Sollten die »barbarischen« IS-Milizen weiter auf die Hauptstadt der kurdischen Autonomieregion Erbil vorrücken, gäbe es zum Schutz von US-Bürgern im Irak »gezielte Schläge« auf IS-Konvois. Den Einsatz von Bodentruppen schloß der Präsident kategorisch aus, es sollten aber weitere US-Militärberater für die irakischen Streitkräfte geschickt werden. »Die USA können und sollen nicht jedes Mal intervenieren, wenn es auf der Welt eine Krise gibt«, erklärte Obama, doch hier gelte es, »ein Massaker zu verhindern«. Die New York Times meldete am Freitag unter Berufung auf irakische und kurdische Beamte, in der Nacht habe es erste US-Luftschläge gegeben, weitere folgten im Laufe des Tages. Nach Angaben Washingtons wurden rund 8000 Essenspakete und über 200000 Liter Trinkwasser aus Transportflugzeugen über den Sengal-Bergen abgeworfen. Dort harren Zehntausende Flüchtlinge seit fast einer Woche ohne Lebensmittel und Wasser bei über 40 Grad Hitze aus. Aus Sengal (Sindschar) sind vor allem Angehörige der dort beheimateten jesidischen Religionsgemeinschaft, die von den Dschihadisten als angebliche »Teufelsanbeter« blutig verfolgt werden, sowie schiitische Turkmenen in die Berge geflohen. »Es sind so viele Kinder und ältere Menschen gestorben, daß sie nicht mehr gezählt werden können«, berichtet der Reporter der Tageszeitung Rudaw, Barakat Issa, von den schrecklichen Szenen, die sich ihm dort boten. Die Dschihadisten drohen den Jesiden mit dem Tod, wenn diese nicht zum Islam konvertieren. Laut aktuellen Berichten aus der Region wurden in den letzten Tagen mindestens 3000 Menschen massakriert. 5000 weitere, darunter 1500 Frauen und Mädchen, seien verschleppt worden, meldet das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad. Jesidische Flüchtlinge bestätigten am Donnerstag abend solche Greuelmeldungen im Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten der Linken Ulla Jelp­ke in einem jesidischen Zentrum der Stadt Midyat im kurdischen Südosten der Türkei. »Sie haben mir geschildert, wie ein Ehemann vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder von den IS-Banden geköpft wurde. Frauen werden in Brautkleider gesteckt und vergewaltigt.« Auf Jelpkes Frage, wie die Flüchtlinge den Dschihadisten entkommen konnten, antwortete ihr eine Jesidin: »Die PKK hat uns den Weg geöffnet. Die Guerillakämpfer waren die einzigen, die uns geholfen haben.« Kämpfer der in der Türkei aktiven Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) waren zu Wochenbeginn nach Sengal gekommen, um den von den kurdischen Peschmerga in Stich gelassenen Jesiden beizustehen. Aus dem Rojava genannten kurdischen Selbstverwaltungsgebiet im Norden Syriens überquerten zudem Volksverteidigungseinheiten (Abkürzung: YPG) die Grenze und befreiten die irakische Grenzstadt Rabia von den IS-Banden. Guerilla und YPG erkämpften einen von den Sengal-Bergen bis zur Grenze reichenden, 80 Kilometer langen Fluchtkorridor, durch den bereits 20000 Menschen nach Rojava in Sicherheit gebracht werden konnten. Die PKK-Guerilla hat auch den Schutz eines 40 Kilometer von Erbil entfernt bei Mahmur gelegenen Flüchtlingslagers übernommen, in dem seit den 90er Jahren rund 13000 Kurden aus der Türkei leben. Die Lagerbewohner wurden nach Erbil evakuiert. An der Seite von Peschmerga lieferten sich PKK-Kämpfer am Freitag in Mahmur heftige Gefechte mit den IS-Milizen. Die Guerilla sei bereit, das kurdische Autonomiegebiet zu verteidigen, erklärte die PKK und forderte die Bildung einer gemeinsamen Verteidigungsfront mit den Peschmerga. Das nächste Ziel des IS sei die erst im Juni unter Kontrolle der kurdischen Regierung gekommene Erdölstadt Kirkuk, warnt die Vorsitzende des Kurdistan-Nationalkongresses, Nilüfer Koc, in einem Telefonat aus Erbil. »Allen voran die Türkei trägt eine große Mitverantwortung dafür, daß der Islamische Staat zunächst die Kurden in Rojava und nun auch in Südkurdistan angreift«, so die Politikerin, die Schritte gegen die Unterstützer des IS fordert. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu verharmloste den IS am Donnerstag mit der Bemerkung: »Eine Struktur wie der IS mag auf den ersten Blick wie eine radikale und terroristische Organisation erscheinen, aber in ihr sind Massen organisiert. Im IS gibt es sunnitische Araber und auch nicht wenige Turkmenen.« Ankara läßt die Dschihadisten von türkischem Territorium aus gegen die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Syrien sowie syrische Regierungstruppen operieren und gewährt ihnen dabei logistische Unterstützung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen