Montag, 11. August 2014

Reform oder Revolution?

Historische und aktuelle Argumente zu einem hundertjährigen Richtungsstreit von Lukas Haslwanter Quelle: Kominform vom 14.05.2014 (zur besseren Lesbarkeit wurde die Schreinweise min den „I“ entfernt) Die These der unmöglichen Revolution In der Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde das Verhältnis von Reform und Revolution heftigst diskutiert. Der rechte Flügel sammelte sich in Deutschland um Eduard Bernstein. Der industrielle Aufschwung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts bildete die materielle Grundlage für die damalige Verwerfung von Klassentheorie und sozialistischer Revolution. Nach den Theorien Bernsteins wäre eine Revolution unter den damaligen kapitalistischen Verhältnissen angeblich nicht mehr möglich gewesen und eine Arbeiterklasse, wie sie Marx definiert hatte, angeblich nicht mehr existent. Dies blieb nicht ohne Widerspruch: Rosa Luxemburg antwortete ihm ausführlich in ihrer Broschüre „Sozialreform oder Revolution“ und rückte das Verhältnis von Reform und Revolution wieder in ein dialektisches. Lenin widerlegte Bernsteins Thesen in seiner Schrift „Was tun?“, in der er sich mit den Strategien unterschiedlicher Flügel der internationalen und insbesondere der russischen Sozialdemokratie auseinandersetzte. Die Geschichte gab Luxemburg und Lenin recht. Nur wenige Jahre nach dem industriellen Aufschwung folgte eine wirtschaftliche Krise, wie es sie in der kapitalistischen Entwicklung bis dahin nicht gegeben hatte. Auch Bernsteins Thesen, wonach es keine Arbeiterklasse mehr gäbe und Revolutionen schon gar nicht, strafte die Geschichte bald Lügen. 1918 beendeten Aufstände der Arbeiter in Deutschland, Österreich und vielen anderen Ländern den Ersten Weltkrieg. Diesen Aufständen war die erfolgreiche sozialistische Revolution der russischen Arbeiter voran gegangen. Eine Folge dieser Revolutionen war die Zuspitzung der Widersprüche zwischen rechten Opportunisten und revolutionären Marxisten, sowie die Auflösung ebendieser Widersprüche. Weltweit gründeten sich in der Folge kommunistische Parteien, die den Kampf des Proletariats unter dem Banner von Marx und Engels organisierten und den von ihnen begründeten wissenschaftlichen Sozialismus weiterentwickelten. Aus der Novemberrevolution 1918 in Österreich ging auch die Kommunistische Partei Österreichs hervor, deren erste Jahre von Richtungskämpfen zwischen ultralinken Revolutionsromantiker und Marxisten geprägt waren. Mit Johann Koplenig als Vorsitzendem konnten sich letztendlich die Marxisten durchsetzen. In Österreich war eine neue proletarische Partei entstanden, die sowohl mit linkem Sektierertum als auch mit rechtem Opportunismus gebrochen hatte und klar das Ziel einer sozialistischen Revolution anvisierte. Vom wirtschaftlichen Aufschwung zum theoretischen Abschwung Es ist nicht verwunderlich, dass sich mit dem erneuten wirtschaftlichen Aufschwung der 50er und 60er Jahre – ausgehend von den größten kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Staaten, in – eine neue revisionistische Strömung herausbildete: Der sogenannte Eurokommunismus war geboren. Der Eurokommunismus fußte auf der Behauptung des damaligen Generalsekretärs der KPdSU Nikita Chruschtschow, dass in der damaligen politischen Situation Revolutionen nicht mehr notwendig wären, um den Kapitalismus zu überwinden. Notwendig wäre viel mehr eine Politik der friedlichen Koexistenz der Klassen und ein Bündnis mit Reformlinken und anderen opportunistischen Kräften. Dieses Bündnis sollte es ermöglichen, mittels Reformen das Kapital zu zähmen und den bürgerlichen Staat in einen Staat der Arbeiter zu verwandeln. In Europa wurde diese neue Spielart des Revisionismus geprägt von den beiden quasi staatstragenden kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die französische PCF und die italienische PCI zu starken kommunistischen Parteien gewachsen und in beiden Ländern bestand die objektive Möglichkeit zum Sozialismus voran zu schreiten. Nicht zuletzt durch ihre tragende Rolle bei der Organisation des antifaschistischen Widerstands hatten die beiden Parteien ihre Verbundenheit mit der Arbeiterklasse und den revolutionären Volksmassen unter Beweis gestellt. Dass in beiden Staaten nach dem Sturz des Faschismus kein Sozialismus aufgebaut wurde, lag einerseits in der zwischen den Siegermächten ausverhandelten geopolitischen Aufteilung in West- und Ostblock, anderseits an der Bedrohung durch die amerikanische Atombombe. Der Verzicht auf den Sozialismus bildete die Grundlage für den stärker werdenden Einfluss revisionistischer Strömungen innerhalb der kommunistischen Parteien. PCF und PCI waren plötzlich mit der Situation konfrontiert, das revolutionäre Proletariat besänftigen und die historische Rolle sozialdemokratischer Parteien übernehmen zu „müssen“. In dieser Situation kamen ihnen die Thesen Chruschtschows vom dritten Weg zum Sozialismus gerade recht. Als ein weiterer Grund für das Erstarken revisionistischer Strömungen innerhalb vieler kommunistischer Parteien Westeuropas kann wohl auch das Fehlen einer revolutionären Strategie am Ende des Krieges gesehen werden. Eine Ursache für das Fehlen einer solchen Strategie, war auch die von Stalin ausgegebene Losung, dass das Bürgertum die Fahne der parlamentarischen Demokratie fallen gelassen hätte und Kommunisten diese nun aufnehmen müssten. Ziel war es die parlamentarische Demokratie zu schützen bzw. wieder zu errichten, anstatt eine Politik mit dem Ziel des Sozialismus zu entwickeln. Die Kommunistische Partei Österreichs und der Eurokommunismus Wie fast alle kommunistischen Parteien Europas ging auch die KPÖ gestärkt aus dem Widerstand gegen den Faschismus hervor. Als eine der drei Gründungsparteien der Zweiten Republik unterzeichnete sie gemeinsam mit SPÖ und ÖVP den Staatsvertrag und gehörte der ersten Regierung an, in der sie mehrere Minister stellte. Anders als bspw. in Frankreich und Italien gelang es jedoch nicht zumindest annähernd gleich stark zu werden wie es die Sozialdemokratische Partei Österreichs war. Die klassenbewussten österreichischen Arbeiter setzten in ihren Hoffnungen auf ein sozialistisches Österreichs weiterhin auf die SPÖ. Einer der Gründe dafür ist der starke Einfluss des Austromarxismus der Zwischenkriegszeit, der sich zwar verbal radikal gab, praktisch aber nur dazu diente, den rechten reformistischen Flügel zu decken und ein Loslösen der Parteilinken zu verhindern. Demnach war auch der antifaschistische Widerstandskampf von zwei großen Fraktionen getragen, nämlich von der KPÖ, die für ein freies demokratisches Österreich kämpfte, und von den Revolutionären Sozialisten (dem linken Flügel der Sozialdemokratie), die für ein sozialistisches Großdeutschland kämpften. Gleichzeitig buhlte die SPÖ nach 1945 sofort um die Stimmen der ehemaligen Nazis und verdrängte den Antifaschismus. Schon vor den ersten Wahlen brachen SPÖ und ÖVP den antifaschistischen Grundkonsens, auf dem sich die Republik gründete, und ersetzten in durch zunehmenden Antikommunismus. Als die KPÖ bei den ersten Wahlen weit schwächer als erwartet abschnitt, wurde dieser weiter verstärkt. Eine Ursache für das schlechte Abschneiden der Kommunistischen Partei waren eben die Revolutionären Sozialisten, die nach Kriegsende wieder in die SPÖ zurückkehrten, anstatt die KPÖ zu stärken. Eine weitere war der gerade auch durch die SPÖ geschürte schlechte Ruf der sowjetischen Truppen in Österreich und die zum Teil undifferenzierte Haltung der Partei zu diesen, ebenso wie das Schüren der Angst vor einem kommunistischen Putsch, nicht zuletzt verstärkt durch die Rolle der KPÖ bei den Oktoberstreiks 1950, die von SPÖ und Schlägern der Bau-Holz-Gewerkschaft in Zusammenarbeit mit der CIA niedergeschlagen wurden. In dieser Situation setzte die KPÖ zunehmend auf oppositionelle und außerparlamentarische Arbeit. Die zunehmende Isolation der KPÖ konnte trotz ihrer führenden Rolle bei den Oktoberstreiks 1950 nicht aufgehalten werden und wurde durch die „Geheimrede“ Chruschtschows, in der er mit Stalins Politik und seinem Beitrag zum Aufbau und der Verteidigung des ersten sozialistischen Staates abrechnete, weiter vorangetrieben. Um aus dieser Isolation auszubrechen, musste die Partei zunehmend über neue Strategien diskutieren. Es traten bald einzelne Personen auf, die versteckt für eine Anbiederung an den bürgerlichen Mainstream warben. Nach dem Abtritt von Johann Koplenig, der die Geschicke der Partei seit dem Ende der 20er Jahre bis 1965 geleitet hatte, begannen diese sich zunehmend auch offen für ein Abweichen vom Marxismus-Leninismus auszusprechen. Der innerparteiliche Konflikt spitzte sich immer weiter zu. Ein Bsp. dafür ist der Konflikt um die Auseinandersetzung in Bezug auf eine Positionierung zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die CSSR und die Niederschlagung des Prager Frühlings. Transformation oder Revolution? In vielen kommunistischen Parteien Europas ist die Frage, ob der Kapitalismus zum Sozialismus transformiert werden kann oder ob es einen revolutionären Bruch braucht, nicht beantwortet. In der Kommunistischen Partei Österreichs ebenso wenig wie in der Deutschen Kommunistischen Partei oder der KP Böhmens und Mährens. Wo besteht nun der Unterschied zwischen einer Transformation und einer Revolution? Transformation sieht das Neue in der bestehenden Gesellschaft durch eine Substanz vorhanden, die quasi evolutionär über ihre unangemessene Form hinauswächst. Eine Revolution beschreibt das Gegenteil dessen. Revolution begreift die bestehenden Bedingungen als die Voraussetzung zur Bildung einer neuen Gesellschaftsform, in welcher erst das auf sich zurückkommt, was in der alten Form unterdrückt war. Dies mag als rein theoretisches Problem erscheinen, doch es wird zur praktischen Frage, wenn es um die Entwicklung der praktischen Arbeit geht bzw. wenn es um die Entwicklung von Strategie und Taktik geht, an der sich die praktische Arbeit orientieren soll. Es dreht sich also letzten Endes um die alte Frage Sozialreform oder Revolution. Die Differenzen mögen bei einzelnen Forderungen keine Rolle spielen, wenn es allerdings um die Machtfrage geht, dann bestehen hier große Unterschiede. Aktuell wird das am deutlichsten, wenn es um den Umgang mit der Europäischen Union geht. Kein Linker wird bezweifeln, dass die Politik der EU nicht im Interesse der arbeitenden Menschen ist. Die Anhänger der Transformationstheorie allerdings glauben die EU von innen heraus verändern zu müssen und diese zu einer Sozialunion reformieren zu können. So heißt es bspw. im Leitantrag des 35. Parteitages der KPÖ, dass eine „grundlegende demokratische und soziale Umgestaltung der EU“ angestrebt wird. Wie diese Umgestaltung erreicht werden soll, wird wohl weißlich verschwiegen. Gleichzeitig wird der Sozialismus nebulös zu „der seine Formen aus der Kultur der Solidarität entwickelt[en] – aus Handlungen, aus denen politische Räume entstehen[den]“ Gesellschaft umgedeutet. Der Sozialismus, wie er von Marx und Engels entworfen wurde, als eine klassenlose Gesellschaft in der kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr vorhanden ist, wird mit keinem Wort erwähnt. Gleichzeitig wird in Verkennung dessen, dass revolutionäre Politik einen Bruch mit den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen bedeutet und die Machtergreifung einer vorher unterdrückten gesellschaftlichen Klasse zur Folge hat, behauptet, dass es sich bei einer Reihe von Reformvorschlägen bereits um revolutionäre Politik handle. Dass es sich bei diesem Dokument um keinen Einzelfall handelt, zeigt ein kürzlich veröffentlichtes Interview mit dem KPÖ-Bundesvorsitzenden Mirko Messer. In diesem Interview erklärt er, dass die KPÖ im Parlament wichtig wäre, um den Druck auf die SPÖ zu erhöhen. Dies begründet er mit der Verankerung der Linkspartei im deutschen Bundestag. Deren Einzug hatte zur Folge, dass SPD und CDU/CSU ihre Sozialpropaganda von dieser abschrieben. Die Sache hat jedoch einen kleinen Haken, nur weil Inhalte der Linkspartei übernommen wurden, heißt das nicht, dass diese Parteien jetzt sozialere oder gar linke Politik machen würden. Das genaue Gegenteil ist der Fall, wie der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zeigt! Sozialismus in einem Bundesland? Glücklicherweise trifft das nicht auf die gesamte KPÖ zu, die steirische Landesorganisation steht mittlerweile seit beinahe 10 Jahren in – zumindest partieller – Opposition zum Kurs der Bundespartei. Sowohl in ihrer theoretischen Positionierung (u.a. dem steirischen Landesprogramm) als auch in ihrer praktischen Arbeit orientiert sie sich auch am wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx und Engels begründet und Theoretiker wie Luxemburg, Zetkin und Lenin weiterentwickelt wurde. Nach 10 Jahren gewinnt die Frage nach der weiteren Vorgehensweise jedoch an Bedeutung. Auf ewig wird es nicht möglich sein, Teil dieser Kommunistischen Partei Österreichs zu bleiben aber in den Gremien der Bundespartei nicht mit zu arbeiten. Aus meiner Sicht gibt es für die steirischen Genossen zwei Möglichkeiten. Die erste wäre eine vollständige Rückkehr in die KPÖ. Die KPÖ hat eine ruhmreiche Geschichte und stand Jahrzehnte lang an der Seite der österreichischen Arbeiterklasse. Die Zeit, in der die Kommunistische Partei in Richtung Aufbau eines Sozialismus in Österreichs Farben orientierte, sind jedoch längst vorbei. Was ich als Delegierter auf ihrem letzten Bundesparteitag erleben durfte, zeigt auch, das es keinerlei Bestrebungen und Wille gibt, Fehler in der theoretischen und praktischen Arbeit der letzten Jahre und Jahrzehnte zu korrigieren. Vielmehr wird an einer Mitgliedschaft in der Europäischen Linkspartei festgehalten und frühere Schwesterparteien wie die KKE werden pauschal als stalinistisch diffamiert. Der KPÖ Steiermark würde es wohl sehr schnell verstärkt so ergehen, wie es auch dem linken Flügel in der Sozialdemokratie erging und ergeht, man bliebe eine Aushängeschild der Partei ohne Einfluss auf ihre tatsächliche Politik zu haben. Die zweite Möglichkeit ergibt sich aus der Gründung der Partei der Arbeit Österreichs (PdA) im letzten Oktober. Die Gründung der PdA wurde vor allem von ehemaligen KPÖ-Mitgliedern insbesondere der Kommunistischen Initiative vorangetrieben, doch der Gründungsparteitag hat gezeigt, dass diese Partei Potential zu mehr hat. Am Gründungsparteitag nahmen knapp hundert Mitglieder teil, von denen ein großer Teil nicht aus der KI kam. Die Partei der Arbeit stellt den Anspruch, in Österreich wieder eine Partei aufzubauen, welche die Fahne von Marx und Engels hochhält und sich am Wissenschaftlichen Sozialismus orientiert. Für die KPÖ Steiermark könnte es eine interessante und wichtige Perspektive sein, die Zusammenarbeit mit dieser Partei zu suchen, denn eines ist klar: Österreich braucht wieder eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse.

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