Sonntag, 10. August 2014

Schweiz: Roche hats wohl gewußt

Bereits Anfang Juli gab Roche als Reaktion auf den Druck der Gewerkschaft Unia zu, dass es auf der Baustelle des Roche-Towers am Baseler Rheinufer zu Lohndumping im grossen Stil durch das polnische Subunternehmen Poko-AL gekommen ist. Natürlich gab sich Roche unglaublich bestürzt über den Vorfall. Weiter gestand der Pharmamulti ein, dass Poko-AL den Vorfall mit systematisch gefälschten Dokumenten zu vertuschen versucht habe. Die Unia drängte auf eine verbindliche Auflösung des Missstands und erreichte eine Lohnnachzahlung von insgesamt über 500?000 Franken für die Betroffenen sowie neue, korrekte Arbeitsverträge. Weiter setzt sich die Unia zum Ziel, dass die verbleibenden Lohnausstände schnellstmöglich beglichen werden. Den Lohndumpingfall beim Roche-Tower schätzt die Unia als «typisch im Konstrukt, aber bemerkenswert in der Höhe der offenen Lohnforderungen» ein. Am Ende einer Subunternehmer-Kette stehe eine Gruppe Fassadenbauer, die statt den im Gesamtarbeitsvertrag vorgesehenen Löhnen nur noch etwas mehr als netto 12 Franken pro Stunde inklusive Ferien, dem Anteil des 13. Monatslohns, Spesen etc. erhielten. Dieser Betrag ist knapp drei Mal weniger als den Arbeitern vom Gesetz her zusteht. Für die Zeit seit Arbeitsbeginn im August 2013 berechnet die Unia einen Betrag von 1 Million Franken, der den Arbeitern insgesamt zu wenig ausbezahlt wurde. Die Unia geht von 27 betroffenen Arbeitern aus. Zwei Arbeiter in einem Bett In einem «10vor10»-Beitrag wurde ein polnischer Fassadenarbeiter porträtiert, der bald zum vierten Mal Vater wird und darum diesen Job auf der Roche-Baustelle angenommen hat. Er wohnt in einer Wohnung mit fünf anderen Arbeitern, schläft im Bett mit einem weiteren Arbeiter, arbeitet jeden Tag zwölf Stunden – bis zu 70 in der Woche – und erhält dafür 12 Franken pro Stunde, ohne Zuschläge für Feiertage oder Wochenendarbeit. Laut Gesamtarbeitsvertrag wären 26 Franken plus Zuschläge vorgeschrieben. Als auf der Baustelle eine Kontrolle durch die Behörden stattfand, hatte der Kontrolleur keinen Dolmetscher dabei und konnte nur mit dem Vorarbeiter sprechen. Dieser gab natürlich an, dass die Arbeiter den gesetzmässigen Lohn von 26 Franken bezahlt bekommen. Darum sieht es den Daten des Arbeitsamts zufolge danach aus, als wäre auf der Baustelle alles mit rechten Dingen zu und her gegangen. Als die Unia den Fall publik machte, sah es zuerst nicht danach aus, als wäre von seiten der beteiligten Firmen ein Entgegenkommen zu erwarten. Es wurde weitergearbeitet, als wäre nichts geschehen. Die unzufriedenen Arbeiter der Firma Poko-AL wurden unter Druck gesetzt. Als einige von ihnen die Schnauze voll hatten, reichten sie Anzeige wegen Nötigung und Betrug ein und gingen in den Streik – erst danach kam die Reaktion von Roche. Allerdings schob Roche implizit den Subunternehmen die Schuld in die Schuhe. Dass Roche von den unzumutbaren Arbeitsbedingungen nichts gewusst hat, ist jedoch unwahrscheinlich. Das Pharma-unter-nehmen übernahm selbst die Bauherrschaft, statt ein Bauunternehmen damit zu beauftragen. Zudem wurde die polnische Firma Poko-AL, die die polnischen Arbeiter anstellte, von einer deutschen Fassadenbaufirma beauftragt, die wiederum direkt Roche unterstellt ist. Die Anstellungsverhältnisse auf der Baustelle sind also keineswegs unübersichtlich. Zwar hat sich die Unia für die Arbeiter gewehrt, die Art und Weise, wie von seiten der Gewerkschaft über den Vorfall gesprochen wird, zeugt jedoch nicht von einer konfrontativen Haltung derselben. Ein Gewerkschaftsfunktionär zeigte sich etwa erstaunt, dass ein Unternehmen wie Roche auf dieser «Vorzeigebaustelle» einem solchen Fall von Lohndumping nicht früher nachgegangen sei – als würde es sich hier nur um ein Versehen eines im Grunde vorbildlichen Unternehmens handeln. Aus dem vorwärts vom 18. Juli 2014 – unterstütze uns mit einem Abo

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