Dienstag, 17. Januar 2017

Törichtes Modell (Manfred Sohn)

 
In marxistischen Kreisen läuft das, was die Weltwirtschaft zunehmend prägt, unter dem Stichwort »Defizitkreislauf«. Dieser Kreislauf ist mit den Begriffen des wissenschaftlichen Sozialismus vor allem von Robert Kurz und anderen hinreichend deutlich analysiert worden: Weil im modernen Kapitalismus unter dem Strich immer mehr Ware Arbeitskraft und damit unvermeidlich Kaufkraft in Form von Löhnen aus dem System herausrationalisiert wird, sind die Staatsapparate gezwungen, anderen Nationalökonomien Geld zu leihen, um aus dem Ausland die Dinge kaufen zu lassen, die der eigene Markt produziert. Auch bürgerlich ausgebildete Ökonomen gelangen zunehmend zu der Einsicht, dass die so entstandene Situation zunehmend einer Sackgasse ähnelt.

In der SparkassenZeitung, einem bundesweiten Medium der Sparkassen-Finanzgruppe, findet sich in der Ausgabe vom 21. Oktober ein interessantes Gespräch mit zwei Chefvolkswirten dieser Gruppe – Torsten Windels von der Norddeutschen Landesbank (NordLB) und Michael Wolgast vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Neben einer Reihe kritischer Anmerkungen zur gegenwärtigen Wirtschaftspolitik in Europa lohnt besonders die Wiedergabe des folgenden Schlagabtausches:
»Frage: Das Wachstumsmodell Deutschlands mit hoher Exportorientierung erzeugt erhebliche Ungleichgewichte. Muss es eine Art von Transfer geben?

Windels: Wenn wir systematisch Exportüberschüsse produzieren, weil wir sehr wettbewerbsstark sind, dann brauchen wir Absatzmärkte. Und die müssen wir organisieren. Also muss man meines Erachtens einen Teil der Exportüberschüsse auch in die Finanzierung der Absatzmärkte stecken. Wir brauchen Länder wie Spanien zum Kauf unsere Überschussproduktion […] Es gibt ja keine einheitliche raumwirtschaftliche Entwicklung. Es ist Unsinn, Schwerin zu sagen, du musst dich nur hinreichend anstrengen, dann wirst du Hamburg. Deswegen gibt es bei uns den Länderfinanzausgleich. Bayern sagt immer, wenn Niedersachsen etwas fleißiger wäre, müsste München kein Geld einzahlen. Da sage ich: Seid froh, dass wir Euch BMWs abkaufen und für euch Maschinenbauingenieure ausbilden.

Frage: Aber würde Bayern nicht mit einem gewissen Recht sagen: Wir verkaufen euch die BMWs und müssen euch das Geld dafür noch mitliefern?

Windels: So ist es, ja. Wenn ihr das nicht tut, kaufen wir die BMWs nicht mehr. Global gesehen, ist das das deutsche Modell.

Wolgast: Ein Extremmodell, in dem man dauerhaft seine Exportüberschüsse verschenkt, nur um weiter Absatzmärkte zu haben, halte ich für Unsinn. […] langfristig wäre das ein törichtes Modell.«

Einen Ausweg aus diesem »törichten Modell« wissen auch die beiden Chefvolkswirte nicht. Es gibt im Rahmen der kapitalistischen Tauschwirtschaft keinen Ausweg mehr. Denn die vorgeschlagene »Finanzierung der Absatzmärkte« stößt schon jetzt an die Grenzen der öffentlichen Haushalte, die selbst in den reichsten kapitalistischen Nationen Jahr für Jahr Schulden aufhäufen, die nicht mehr zu tilgen sein werden. Aber immerhin: Die Einsicht in die Unhaltbarkeit des jetzigen Zustandes ist ein Schritt nach vorn.

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