Montag, 16. April 2018

Wiedergefunden: Moneta an Biermann (Diether Dehm)


Wolf Biermann hatte einst den Dichter und DDR-Minister Johannes R. Becher verhöhnt, die lyrischen Musen hätten ihn im Staatsamt verlassen. Seit der Stachel des Ex-Staatsfeinds Biermann dann selbst von erektiler Dysfunktion befallen und ihm jahrzehntelang keine starke Zeile mehr gelungen war, schlüpfte dieser wieder ins markterprobte Opfergewand, als Staatsfeind wenigstens posthum: Mordanschläge der Stasi, abgehörte Telefone, Liebeskuppeleien und die ganzen anderen Schikanen »gingen im Westen lückenlos weiter« (»Warte nicht auf bessre Zeiten!«, Propyläen 2016, S. 474).

Frühere Freunde hatten Biermann lange schon öffentlich gefragt: Warum hatte er in der DDR statt Knast gute Geschäfte und das Staatsgehalt eines Regieassistenten erlaubt bekommen? Und sogar noch nach der Ausbürgerung zu besonderen Privatfeiern in die DDR zurückgedurft?

Der »Widerstandskämpfer« musste also nach der Wende Frischblut-Beflecktes nachliefern. Dem Spiegel (5/92) tischte Biermann gleich mehrere Dutzend IMs auf, die ihm im Westen bereits aufgelauert hatten; dazu frisch aus der Gauck-Behörde ein Stasi-Befehlsdokument voll »destruktiver Maßnahmen«, mit denen er nach der Ausbürgerung »zugrunde gerichtet werden sollte « (»Schaffung von Trunkenheit am Steuer, zielgerichtete Heranziehung zum Wehrdienst, falsche ärztliche Betreuung, Liebesverhältnisse zerstören, Störung der Telefonnummer …«). Der Spiegel übernahm Biermanns Vorspiegelung dieser Stasi-Allmacht in der BRD ohne Gegenfragen.

Über mich verbreitete Biermann im Spiegel vom 29. April 1996, ich hätte damals auch zu diesem Stasi-Terrorkommando gehört und ihm dies sogar am 29. Mai 1988 an seinem Gartenteich »unter vier Augen und sechs Ohren« gestanden. (Die zwei Differenz-Ohren waren die seiner angeblich hinterm Teich versteckten Frau und Dauer-Zeugin). Gebeichtet hätte ich da, ihm 1976 meine »Dienste als Konzertmanager im Auftrag (!) der Staatssicherheit angeboten zu haben«. Allerdings erinnerte ihn ein anderer Zeuge dann daran, dass er es selber gewesen war (und zwar auf Empfehlung von Günter Wallraff), der mich am 28. Dezember 1976 angerufen und, in tiefen Koordinationsnöten, darum gebeten hatte, sein Manager zu werden. Biermann bekam Angst vor einem Unterlassungsprozess und vermied diese infame Behauptung fürderhin.

Nicht einmal Gauck konnte in seiner Behörde meine angebliche MfS-Akte noch umfrisieren, womit bis heute zu lesen bleibt: Das MfS hatte nicht mal einen blassen Dunst davon, dass ich am 8. März 1977 Biermanns Manager geworden war. Und Wallraff hatte, nach intensiver Aktenlektüre, dem SPD-Schiedsgericht (das das Stasi-Verfahren gegen mich 1996 daraufhin straflos einstellte) geschrieben: »Dehms einziger Führungsoffizier in diesen Jahren hieß Wolf Biermann.« Heute mir eher peinlich, zumal Biermann selbst später oft genug getönt hatte, dass er nie zuvor mehr Schallplatten und mehr Geld verdient habe, als in den zehn Jahren bei meiner Agentur. Mit der angeblichen Stasi-Kommandolage für Westdeutschland, »Biermann zugrunde zu richten«, stimmte das viele Geld jedenfalls nicht überein.

Daraufhin fabulierte Biermann in der Biografie zu seinen Staatsfeierlichkeiten 2016 andere Dehm-Opfer herbei: »Auch Jürgen Fuchs misstraute nicht, als Dehm ihn und seine Familie einlud, in seinem Wochenendhäuschen die Ferien zu verbringen.« (»Warte nicht …«, S. 475)

Aber es war Biermann selbst gewesen, der den gerade ausgebürgerten Fuchs in mein Wochenendhaus »wegen dem schönen Ausblick auf die Thüringer Wälder dort« eingeladen hatte. Und Biermann hat später auch die zwei Sätze in der MfS-Akte darüber gelesen, womit die Stasi übrigens ihren Fahndungsbefehl gegen mich begründet hatte: Ich sei »fest in den Kreisen der sogenannten demokratischen Linken in der BRD integriert … konnte nicht von der Richtigkeit der Maßnahmen der DDR gegen Biermann überzeugt werden… Dies führte dazu, dass keine Erkenntnisse über … Fuchs, Jürgen, der sich zehn Tage ... im Bauernhof … Adresse … aufhielt, erarbeitet werden konnten.« (Abschlussbericht des Oberst Willmann, MfS, Abt. XX/5). Einst zitierte Biermann Brechts Galilei wie folgt: »Wer die Wahrheit aber kennt und eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher.«

Dann wurde der mittlerweile von der CSU in Kreuth umjubelte Biermann vom Scharfrichter im Opferschafspelz zum »Schmierenbühnen-Saint-Just, der sich glücklicherweise an Phrasen statt an Blut berauscht« (Hellmuth Karasek, Spiegel 28/94). Denn Biermann meuchelt vorzugsweise frühere Freunde, Gönner und Laudatoren. Beispiel: Marcel Reich-Ranicki. Kaum ein Literaturpreis, den Biermann nicht dem Juroren und früheren Warschauer Widerstandsschreiber zu verdanken hatte. Gegen diesen nun »zitiert [er] jetzt genüsslich private Telefongespräche, liest aus einer Zeitung heraus, Reich-Ranicki sei womöglich als [polnischer] Spitzel in die BRD geschickt worden ... Und der Gipfel: Da Reich seine, Biermanns[,] Übersetzung des Ghetto-Dichters Jitzchak Katzenelson nicht schätze, sei er vermutlich damals im Ghetto ein Kollaborateur gewesen« (Karasek).

Auch gegen seinen einstigen Gönner Jakob Moneta, dem er das Kölner Konzert des IG-Metall-Vorstands überhaupt zu verdanken gehabt, fletschte Biermann nun die blendende Zahnkeramik: Der – mit DDR-Einreiseverbot belegte Trotzkist – sei »schon immer heimlich ein Mitglied der stalinistischen Bande gewesen« (Spiegel, 12.11.2001).

Aber Moneta konterte halböffentlich am 22. November 2001 (was sich leider erst jetzt wiederfand). Ihm war nämlich aufgefallen, »wie oft Biermann in seinem Spiegel-Artikel seinen Mut hervorkehrt. Dass er zum Beispiel besonders scharfe Lieder im Osten all die Jahre gesungen und massenhaft verbreitet hatte …« Und Moneta fragte sich, wie es möglich war, dass er »im Gegensatz zu vielen anderen, die weniger scharf waren … und keineswegs massenhaft verbreiten konnten, keine Haftstrafen abbüßen musste …«

Und dann kam der prominente Gewerkschaftslinke auf einen von Biermann später in seinen Hof-Medien immer verdrehten Vorgang zu sprechen, bei dem meine damalige Freundin und ich dabeigesessen hatten. Moneta schreibt, seine Lebenspartnerin Sigi wollte Biermann damals nämlich wegen »eines Macho-Spruchs aus unserem Haus in Frankfurt schmeißen, als er … eines Abends erzählte, wie sehr er sich vor den Falten im Hals von Margot (= Biermanns Jugendfreundin Margot Honecker) ekelte … Mir jedoch ging langsam ein Licht auf, wieso sich Wolf Biermann unter der schützenden Hand von Margot Honecker so viel in der DDR herausnehmen konnte, ohne von Haft bedroht zu sein.« Dann gab Jakob Moneta dem Liedermacher und dessen »lautem Bellen als Schoßhündchen der deutschen Rechten« einen Spruch aus seiner »jiddischen Muttersprache auf den Weg: ›Nicht gedacht soll seiner werden.‹«

Niemand weiß, was Biermann von oder mit Margot Honecker hatte, als sie ihn vor der Ausbürgerung in der Chausseestraße 131 besuchte. Aber er selbst war es, der prahlte: mit ihrer Warnung vor dem Kölner Konzert und mit seiner intimen Sicht auf ihre Falten am Hals im Morgendämmern.

Biermann hat fast alle getäuscht. Die Imperialismusgegner, denen er kürzlich im Westen eröffnete, er hätte sich damals nur »aus Daffke Kommunist« genannt. Die Friedensbewegten, die der »Soldat, Soldat«-Sänger später in sämtliche NATO-Bombardements hetzen wollte. Die Antifaschisten, als er sich Erika Steinbach (die jetzt die AfD-Stiftung Desiderius Erasmus leitet) für deren Stasijagd als Kronzeuge an den Hals warf. Und – apropos Hals – auch die nach liebeslyrischem Lob schmachtenden Frauen jeden Alters, die ihn zum Versteher neuen Typus verklärt hatten – bis sein Ekel vor weiblichen Falten öffentlich wurde.

Auch Talent verschrumpelt, ach, beim Speichellecken. Wie bei Balzac das Chagrinleder. Und seit wann benötigt ein gemeiner Innenausstatter des Imperialismus auch Musen? Und wozu denn?


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